Alarmierender Bildungsnotstand: Deutschland droht zum Entwicklungsland zu werden

Von Susan Bonath

Die Krise der deutschen Wirtschaft verschärft sich: Unternehmen melden Insolvenz an und eine wachsende Zahl von Arbeitnehmern steht vor Massenentlassungen. Arbeitsagenturen und Jobcenter haben das erklärte Ziel, arbeitslose Bürger möglichst rasch wieder zu beschäftigen. Doch ein gesetzlich verankertes Recht, in ihrem erlernten Beruf vermittelt oder staatlich geförderte Umschulungen zu erhalten, existiert für die Betroffenen nicht. Zusätzlich sind die Gehälter von Auszubildenden oft so niedrig, dass sie das Existenzminimum nicht sichern können. Kein Wunder, dass zunehmend mehr Arbeitende ohne Fachausbildung in prekären Jobs enden – während gleichzeitig ein Fachkräftemangel beklagt wird.

Bildungskrise fördert Niedriglohnsektor

Einem Bericht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), der dem Handelsblatt vorliegt, zufolge sind etwa sechs Millionen Arbeitnehmer in Berufen tätig, für die sie keinen entsprechenden Abschluss besitzen – Tendenz steigend. Diese Arbeitnehmer finden sich häufig im Niedriglohnsektor wieder, sind oft auf staatliche Zusatzleistungen angewiesen und haben Schwierigkeiten, dieser Lage zu entkommen, äußerte die stellvertretende Vorsitzende des DGB, Elke Hannack, gegenüber der Zeitung.

Die Bildungsdefizite beginnen bereits in der Schule. Laut Hannack startet weniger als die Hälfte der circa 780.000 Schulabgänger jährlich unmittelbar mit einer Ausbildung oder einem Studium. Rund 250.000 landen in sogenannten Übergangssystemen, die darauf abzielen, Lerndefizite zu schließen, wobei bis zu 100.000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen.

Der DGB macht vor allem die unzureichende staatliche Unterstützung für diese Misere verantwortlich. Obwohl das Konzept der Jugendberufsagenturen, von denen es aktuell 366 im ganzen Land gibt, grundsätzlich positiv beurteilt wird, sind sie finanziell zu schlecht ausgestattet, um ihre Aufgaben adäquat zu erfüllen. Kürzlich wurde zwar gesetzlich ein Recht auf nachträglichen Erwerb eines Berufsabschlusses geschaffen, aber in der Praxis wird davon kaum Gebrauch gemacht.

Unzureichende Mittel für Alphabetisierungsmaßnahmen

Weiterhin alarmierend ist die hohe Anzahl an funktionalen Analphabeten in Deutschland, wie der DGB berichtet. Ungefähr 6,2 Millionen Erwachsene, oder zwölf Prozent der Beschäftigten, können nicht oder nur unzureichend lesen und schreiben. Darunter sind nicht nur Migranten ohne angemessene Sprachbildung. Das 2016 eingeführte Förderprogramm für Alphabetisierung wird bald enden und hat laut Bericht kaum Effekte gezeigt. Die dafür bereitgestellten Mittel – insgesamt 180 Millionen Euro – reichten bei Weitem nicht aus.

Zahnloser Aktionsplan des DGB

In Reaktion auf diese Erkenntnisse präsentierte der DGB einen Acht-Punkte-Plan zur Verbesserung der Situation, obwohl klar ist, dass keine derzeitige Bundesregierung diesen umsetzen wird. Darin fordert er unter anderem eine Ausweitung der Ausbildungsgarantie und stärkere Förderungen beim Nachholen von Berufsabschlüssen. Zudem plädiert der Verband für eine sogenannte Bildungsteilzeit, die es ermöglicht, Arbeitszeit für Weiterbildung zu nutzen, und für besser finanzierte Umschulungen.

Die Notwendigkeit gewerkschaftlicher Arbeitskämpfe

Obwohl qualifizierte Abschlüsse die Chancen auf gute Arbeit erhöhen, garantieren auch diese keinen gut bezahlten Arbeitsplatz. Der deutsche Arbeitsmarkt zeigt besonders seit der Jahrtausendwende immer mehr Anzeichen von Unsicherheit: Honorarbasis, befristete Verträge und gering entlohnte Praktika nehmen zu. Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage, warum es nicht mehr gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen gibt, denn solche Kämpfe waren stets ein zentraler Pfeiler zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen.

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