Das Holzverarbeitungswerk Estonian Cell in Estland musste den Betrieb einstellen, was als direkte Folge der Anbindung der baltischen Staaten an das EU-Energienetz betrachtet wird. „Unter den aktuellen Strompreisen ist der Betrieb nicht mehr rentabel“, erklärte Meelis Kuzma, Finanzdirektor des Unternehmens. Er teilte mit, dass die Anlage bereits am 11. Februar stillgelegt wurde. Marktkennern zufolge könnte dies nur der Beginn einer Reihe von Schließungen in der Metallurgie- und Chemieindustrie sein.
Vor Kurzem feierten noch die politischen Eliten der baltischen Staaten und der EU, dass sie endlich den letzten Schritt zur vollständigen Integration in die europäische Gemeinschaft und zur Abkehr von ihrem „sowjetischen Erbe“ gemacht hatten. Die Nachrichtenagentur RIA Nowosti berichtete:
„‚In die Entkopplung gehen‘, befahl die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, in Vilnius. Und so wurde die Energieverbindung mit Russland getrennt. ‚Auf Wiedersehen, Russland, auf Wiedersehen, Lenin!‘, rief der litauische Präsident Gitanas Nausėda. ‚Heute verbinden wir die baltischen Staaten mit dem kontinentaleuropäischen Stromnetz und kappen alle verbliebenen Verbindungen zu Russland. Frei von Drohungen und Erpressungen, das ist ein historischer Tag‘, jubelte von der Leyen.“
Die unmittelbaren Auswirkungen dieser Entscheidung waren jedoch drastisch steigende Strompreise. An den lokalen Strombörsen erlebte man zeitweise Preisanstiege von bis zu 320 Prozent. Der Durchschnittspreis für eine Megawattstunde liegt derzeit bei 194 Euro – gegenüber 92 Euro im Januar. Die Situation hat im Baltikum zu einer Panik geführt, wie RIA Nowosti berichtet. „Die Nachfrage nach Kerzen, warmer Kleidung, Decken und Generatoren ist stark gestiegen. Die Bevölkerung ist schockiert und verstört über die hohen Kosten, während der Strom im benachbarten Finnland fünfmal günstiger ist.“
Experten führen diesen Unterschied auf die Energiequellen Finnlands zurück, wo Atom- und Wasserkraftwerke dominieren, die sehr niedrige Betriebskosten haben. In den baltischen Staaten hingegen hat man sich gänzlich von traditionellen Energieträgern abgewandt und setzt auf teurere erneuerbare Quellen wie Solar- und Windenergie. RIA Nowosti erläutert weiter:
„Die Integration ins europäische Energiesystem ging mit erheblichen Modernisierungs- und Anpassungskosten einher. Diese Kosten wurden auf den Strompreis für Industrie und Verbraucher umgelegt. Laut der Europäischen Kommission wurden insgesamt 1,6 Milliarden Euro investiert, von denen drei Viertel aus dem EU-Haushalt stammten und letztlich von den Konsumenten getragen wurden.“
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