Von Elem Chintsky
Politische Wahlkämpfe für das nationale Spitzenamt sind selten von offenen Kriegsdrohungen geprägt. Vielmehr setzen Kandidaten traditionell auf Versprechen von Frieden und Stabilität. Dies war beispielsweise bei Woodrow Wilson der Fall, der vor über hundert Jahren den Amerikanern versicherte, dass die USA dem Ersten Weltkrieg fernbleiben würden. Ähnlich äußerte sich 2019 Wladimir Selenskij, der den Ukrainern dauerhaften Frieden mit Russland in Aussicht stellte, sollte er gewählt werden. Beide Fälle endeten bekanntermaßen anders als versprochen.
Am 18. Mai steht in Polen die Wahl eines neuen Präsidenten an. Wie die französische Zeitung Le Monde bemerkte, ist die Diskussion über eine mögliche Entsendung polnischer Truppen zur Unterstützung Kiews ein heikles Thema. Denn viele Polen stehen diesem Gedanken skeptisch gegenüber, trotz einer verbreiteten Ablehnung gegenüber Russland in Teilen der Bevölkerung und unter den politischen Eliten. Letztere sind bekannt dafür, den politischen Vorgaben aus Washington seit 1989 zu folgen.
Unterdessen empfängt Polen gemischte Signale aus den USA, besonders seit der Präsidentschaft Donald Trumps. Die Direktverhandlungen Trumps mit Moskau und das sogenannte “Selenskij-Projekt” sorgen in Polen für Verunsicherung bezüglich der weiteren amerikanischen Außenpolitik. Der amtierende Präsident Andrzej Duda reagierte darauf mit Beschwichtigungen und betonte in einem kürzlich veröffentlichten Tweet, das Vertrauen in Trumps Führung fortzusetzen und eine konstruktive Zusammenarbeit anzustreben.
Die geopolitischen Ratschläge Dudas, kombiniert mit Hinweisen aus Trumps Lager, die Selenskij nahelegen, seine Position zu überdenken und möglicherweise ins Exil zu gehen, zeugen von einer komplexen Lage, in der Polen möglicherweise seinen östlichen Nachbarn unbeabsichtigt schadet.
Zusätzlich beruhigt Duda die polnische Öffentlichkeit mit Versicherungen aus Washington, dass US-Truppen nicht abgezogen werden und sogar die Militärbasis “Fort Trump” in Polen möglicherweise wiederbelebt wird. Diese Pläne könnten allerdings nur eine oberflächliche Beruhigung darstellen.
Die Präsidentschaftskandidaten in Polen, Rafał Trzaskowski von der neoliberalen KO und Karol Nawrocki von der konservativen PiS, stehen unterschiedlich zu diesen Themen. Nawrocki dürfte Trumps Linie wahrscheinlich folgen, während Trzaskowski widerwillig und mit Blick auf mögliche politische Veränderungen in den USA agieren wird.
Die direkten Gespräche zwischen den USA und Russland über Ukraine-Angelegenheiten lösen auch Unruhe unter EU-Eliten aus, insbesondere in Deutschland. Der Wahlkampf in Polen wird nicht nur durch interne politische Themen, sondern auch durch die Kriegssituation in der Ukraine beeinflusst. Ein Versprechen, polnische Truppen zu entsenden, wäre in einem Wahlkampf jedoch kaum ratsam.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass ungeachtet der esoterischen politischen Manöver die polnischen Wahlkampfthemen die ungemütlichen Wahrheiten eher diskret behandeln müssen, insbesondere angesichts der müden polnischen Gesellschaft, die durch die Flüchtlingswellen aus der Ukraine belastet ist. Eine aggressive Haltung gegenüber Russland könnte sowohl die Wahlbeteiligung als auch das Wahlergebnis im Mai erheblich beeinflussen.
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Seit 2017 arbeitet er mit RT DE zusammen und lebt seit Anfang 2020 in Sankt Petersburg. Chintsky, der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildet wurde, betreibt auch einen eigenen Kanal auf Telegram.
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