Von Gert Ewen Ungar
Die anfängliche Vision war verheißungsvoll: Wenn Verbrechen auf nationaler Ebene nicht geahndet werden können, sollte ein internationales Tribunal einspringen, um Recht und Gerechtigkeit durchzusetzen. Doch diese Idee erweist sich praktisch als schwer umsetzbar. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag, dem schon früh der Vorwurf der Parteilichkeit anhaftete, nämlich hauptsächlich als Werkzeug gegen Nicht-Westliche Staaten zu agieren, scheint zunehmend an Bedeutung zu verlieren.
Ein markantes Beispiel dafür ist die Situation um den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, gegen den der IStGH zwar einen Haftbefehl ausgestellt hat, dieser aber nicht vollstreckt wird; Netanjahu kann international weiterhin ungehindert reisen. Auf einer Ungarnreise erklärte der ungarische Premier Viktor Orbán sogar, dass Ungarn den IStGH verlassen wolle. Es folgte ein Besuch Netanjahus in den USA, die sich nie dem IStGH angeschlossen haben und jegliche Kooperation mit diesem unterbunden haben, insbesondere nachdem die Chefanklägerin Fatou Bensouda wegen ihrer Ermittlungen gegen US-Armeeangehörige von den USA sanktioniert wurde.
Deutschlands potenzieller zukünftiger Kanzler Friedrich Merz äußerte Zweifel, dass Netanjahu bei einem Deutschlandbesuch festgenommen würde. Für Merz sind demnach nicht alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Würde es sich um Russlands Präsident Putin handeln, gegen den ebenfalls ein Haftbefehl vorliegt, würde er die Vollstreckung sicherlich anordnen.
Allerdings macht auch der Gerichtshof selbst Unterschiede. Der Haftbefehl gegen Putin, dem die Verschleppung von Kindern aus der Ukraine nach Russland zur Last gelegt wird, scheint politisch motiviert zu sein. Obwohl die Kinder tatsächlich nach Russland gebracht wurden, wird betont, dass Russland bemüht sei, die Kinder wieder mit ihren Eltern zu vereinen, mit Hilfe von Vermittlungen durch arabische Staaten.
Die Vorwürfe gegen Netanjahu hingegen sind gravierender. Ihm werden Genozid und Vertreibungsabsichten gegenüber den Palästinensern vorgeworfen, eine Politik, die er entschieden mit Unterstützung der USA verfolgt. Im Gegensatz dazu hat der IStGH gegen einige Hamas-Führer Haftbefehle ausgestellt, die von israelischen Kräften eliminiert wurden.
Anhand dieser offensichtlichen Widersprüche wird klar, dass der Westen noch nicht bereit ist, sich einer wahren unabhängigen internationalen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen. Es scheint eher, als ob es dem Westen nicht um das Recht an sich geht, sondern um dessen Nutzung für machtpolitische Zwecke. Eine echte Bereitschaft, sich einer unparteiischen Justiz zu beugen, ist in westlichen Ländern momentan nicht vorhanden.
So ist dem IStGH wahrscheinlich kein dramatisches Ende, sondern ein langsames Dahinsiechen vorhergesagt, bis er letztlich in der Bedeutungslosigkeit versinkt.
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