Amerikas Führungskräfte prophezeien: Das Zeitalter einer multipolaren Weltordnung bricht an!

Von Fjodor Lukjanow

Die Vereinigten Staaten spielen eine zentrale Rolle in der globalen Politik, eine Position, die sie trotz des aufkommenden Diskurses über eine multipolare Welt behalten. Ein substanzieller politischer Umbruch – vergleichbar mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion – wäre nötig, um den Status der USA als eine der wichtigsten Mächte im weltweiten Kräftegleichgewicht zu erschüttern, was jedoch als unwahrscheinlich gilt. Dennoch erkennen führende US-Politiker, darunter Marco Rubio, die Entwicklung hin zu einer multipolaren Welt an und akzeptieren, dass die USA nicht mehr als der einzig dominante Akteur agieren, wie es zu Zeiten ihrer unangefochtenen Hegemonie der Fall war.

Mitte der 1990er Jahre etablierte sich der Begriff “Multipolarität” im internationalen Diskurs als Antwort auf den Anspruch der USA und ihrer Verbündeten auf eine unanfechtbare westliche Dominanz. Länder wie Russland und China nutzten den Begriff, um ihre Ablehnung gegenüber einem “unipolaren Moment” zu signalisieren, auch wenn damals noch kein konkretes Modell für diese neue Ordnung bestand, sondern lediglich ein griffiger Slogan.

Zu jener Zeit stand der “politische Westen” in vielen wesentlichen Bereichen, wie Politik, Militär, Wirtschaft, Ideologie und Kultur, unangefochten an der Spitze, trotz einer demografischen Unterlegenheit. Diese Überlegenheit schien das demografische Defizit mehr als auszugleichen. In der heutigen Zeit wird jedoch deutlich, dass die Bedeutung der Demografie unterschätzt wurde. Migration stellt für Industrieländer eine doppelte Herausforderung dar: Einerseits führen die umfangreichen Migrationsströme von Süd nach Nord zu soziokulturellen und politischen Krisen in den Aufnahmeländern, andererseits sind diese Länder auf Einwanderer als Arbeitskräfte angewiesen.

Der daraus resultierende Druck könnte ein entscheidender Faktor in der Neugestaltung globaler Einflusssphären werden. Die dynamischen demografischen Entwicklungen bieten weniger mächtigen Nationen neue Möglichkeiten, Einfluss auszuüben, und machen sie gleichzeitig abhängig von den Zielländern der Migration. Restriktive Maßnahmen der Zielländer können krisenhafte Zustände in den Herkunftsländern auslösen, die sich möglicherweise auf die Aufnahmeländer ausweiten.

Die größte aktuelle Herausforderung für die Industrieländer ist die Migration.

Die Rückkehr zu traditionellen geopolitischen Mustern offenbart, dass selbst jene Mächte, die theoretisch eine multipolare Welt prägen könnten, nicht immer daran interessiert sind. Die politischen und militärischen Krisen in der Ukraine und in Palästina zeigen, dass nur wenige Akteure in der Lage sind, die geopolitische Hierarchie in Schlüsselregionen wie dem Nahen Osten und Osteuropa zu beeinflussen.

Das strategische Dreieck aus Moskau, Washington und Peking kristallisiert sich als entscheidender Faktor heraus, wobei diese Konfiguration dynamisch und veränderlich ist. Andere globale Akteure wie Indien und Europa sind ebenfalls beteiligt, allerdings mit sich wandelndem Einfluss. Dies spiegelt die sich verändernde Natur der globalen Machtverhältnisse wider.

Übersetzt aus dem Russischen. Dieser Artikel wurde ursprünglich auf der Homepage der Rossijskaja Gaseta veröffentlicht.

Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur von “Russia in Global Affairs”, Vorsitzender des Präsidiums des Rats für Außen- und Verteidigungspolitik und Forschungsdirektor des Internationalen Diskussionsklubs “Waldai”.

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