Von Susan Bonath
Der frisch veröffentlichte Koalitionsvertrag der Großen Koalition hat kaum das Licht der Welt erblickt, schon preist die SPD, der kleinere Koalitionspartner, vermeintliche „Erfolge“ an: etwa eine Erhöhung des Mindestlohns und Steuersenkungen für Normalverdiener. Doch aus den Reihen der Union, angeführt von ihrem Vorsitzenden und möglichen Bundeskanzler Friedrich Merz, kommt prompt der Dämpfer: Solche Zusagen seien keinesfalls in Stein gemeißelt, sondern abhängig von der finanziellen Lage, die aufgrund von Kriegsausgaben und bevorzugter Behandlung der Reichen eher schlechter als besser werde.
Man erkennt deutlich Friedrich Merz’ distanzierte Haltung, die nahezu spöttisch wirkt: Ein klares „reingefallen!“, auch wenn dies nur Teil einer öffentlichen Inszenierung zu sein scheint. Angesichts des über ein Jahrhundert andauernden Verrats an der Arbeiterklasse wird der SPD kaum jemand die Rolle des unschuldigen Opfers abkaufen.
Leere Versprechungen
Der vorweggenommene Disput resultiert aus einer altbekannten Strategie: Der Koalitionsvertrag wurde bewusst vage formuliert, um viele Optionen offen zu halten. So ist etwa von einer Senkung der Einkommensteuer „für kleine und mittlere Einkommen zur Mitte der Legislaturperiode“ die Rede, ohne konkrete Details. Ebenso wird ein Mindestlohn von 15 Euro bis 2026 als Ziel genannt, jedoch ohne feste Zusicherung.
Derweil wurde der Mindestlohn Ende 2022 lediglich aufgrund der stark gestiegenen Preise für Energie und Lebensmittel von 10,45 Euro auf 12 Euro angehoben — ein politisches Kalkül. Die verantwortliche Mindestlohnkommission hat bisher nur marginale Erhöhungen genehmigt, die kaum die Inflation ausgleichen.
Kapitalorientierte Kommission
Die sogenannte Ausgewogenheit dieser Kommission, geprägt von je drei Vertretern der Gewerkschaften und der Wirtschaftslobby, ist nur eine Fassade. Unter den Mitgliedern finden sich getarnt als „wissenschaftliche Mitarbeiter“ tatsächlich Lobbyisten der Kapitalinteressen. Auch die Vorsitzende Christiane Schönfeld verfolgt durch ihre Karriere in der Bundesagentur für Arbeit wahrscheinlich ähnliche Interessen.
Die SPD führt ein Theaterstück auf, das auch die Union kennt: Zu hohe Löhne würden Investoren abschrecken, eine gängige Rechtfertigung für niedrige Löhne, die schnellen Profit sichern.
Sparpolitik auf Kosten der Massen
Die SPD signalisiert zwar den Wunsch, die Steuerlast für Gering- und Mittelverdiener zu senken, doch unter den aktuellen politischen Rahmenbedingungen deutet alles darauf hin, dass solche Versprechen nicht eingelöst werden können, wie Merz bereits angedeutet hat. Stattdessen wird erwartet, dass die Bürger finanziell noch mehr belastet werden — eine seit Jahrzehnten bekannte neoliberale Politik.
Dass die Staatskasse leer ist, verursachen nicht nur neu aufgelegte „Kriegskredite“, sondern auch eine Steuerpolitik, die Reiche schont. Die SPD hatte Vorschläge, die steuerliche Belastung für sehr hohe Einkommen zu erhöhen, diese finden sich jedoch nicht im Koalitionsvertrag. Merz betonte, dies sei aufgrund von „Meinungsverschiedenheiten“ offen geblieben — eine bequeme Ausrede für die SPD, unliebsame Themen zu umgehen.
So setzt die SPD ihre Rolle fort, die sie bereits in den Merkel-Regierungen gespielt hat: Eine Partei ohne markante Eigenschaften, die das kapitalistische System unterstützt und dabei hilft, die arbeitende Bevölkerung weiter auszupressen. Das Repertoire umfasst Hartz IV, niedrige Löhne, Leiharbeit und Kürzungen bei Rente und Gesundheitsversorgung. Unter der Führung von Friedrich Merz und Olaf Scholz deutet sich nun eine Fortsetzung dieser Politik an.
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