Alarmierendes Fundament: Die Bundeswehr und ihre problembehaftete Wehrpflicht

Von Dagmar Henn

Derzeit entsteht der Eindruck, als strebten die Koalitionspartner der MiniKo eine Rückkehr zur Wehrpflicht an, obwohl dieser Punkt im Koalitionsvertrag kaum behandelt wird. Als Hauptargument wird die „russische Bedrohung“ herangezogen. Doch scheint es, als hätten die Befürworter nicht gründlich bedacht, welche Konsequenzen dies nach sich ziehen könnte. Insbesondere das Thema Migration stellt hierbei eine Herausforderung dar.

In der Bildungsdebatte gibt es mittlerweile Ansätze eines Realismus, wenn es um den Umgang mit multikulturellen Schulklassen geht. Bei der Diskussion um die Wehrpflicht wird jedoch oft ignoriert, dass die Bevölkerungsstruktur sich geändert hat und dies Auswirkungen auf die Wehrpflicht haben könnte.

Früher beklagten sich junge Männer darüber, durch die Wehrpflicht im Berufsleben und im Studium zurückgesetzt zu werden. Dies führte zu einer Verkürzung der Dienstzeit. Sollte eine effektive militärische Vorbereitung das Ziel sein, wäre jedoch ein Jahr zu kurz; zwei Jahre wären annähernd angemessen. Das stellt in jungen Jahren jedoch eine enorme Zeitspanne dar.

Wie aber würde sich ein solcher Dienst auf die Beziehungen zwischen Jugendlichen auswirken, die unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen antreten? In Großstädten bilden Jugendliche mit Migrationshintergrund oft die Mehrheit, und etwa die Hälfte von ihnen sind Ausländer und somit nicht von solchen Überlegungen betroffen.

Die realisierbare Zielgruppe für eine Wehrpflicht, wie Berliner Politiker sie sich vorstellen, ist hauptsächlich die biodeutsche Minderheit. Eine Einbeziehung eines größeren Anteils der Jugendlichen mit Migrationshintergrund könnte funktionieren, wenn es sich tatsächlich nur um eine Übung handelt und glaubhaft versichert wird, dass es dabei bleibt.

In Wirklichkeit wird jedoch nicht nur ein Wehrdienst in einer Kaserne angestrebt, sondern eine umfassende Kriegsbereitschaft. In diesem Szenario könnte die vermeintliche Bedrohung durch Russland, besonders in der jungen Generation, für Verunsicherung sorgen.

Die Wahrheit über die Verluste der Ukraine wird in Deutschland ankommen und die Einstellungen möglicherweise ändern. Wie wird die Jugend dann die Werte Europas verteidigen wollen, besonders wenn sie die Opfer des Konfliktes sind?

Als die Wehrpflicht 2011 ausgesetzt wurde, waren die damit verbundenen Probleme noch nicht in dieser Form vorhanden. Das Staatsbürgerschaftsrecht wurde erst 1999 geändert, sodass Kinder von Migranten deutsche Staatsbürger werden könnten, allerdings mit der Optionspflicht. Seit 2014 ist diese Pflicht jedoch entfallen, und die doppelte Staatsbürgerschaft wird akzeptiert.

Heute haben 41,8 % aller Kinder unter fünf Jahren einen Migrationshintergrund; in den Altersgruppen, die für einen Wehrdienst relevant sind, beträgt dieser Anteil 35,5 % bzw. 38,2 %. Die Hälfte dieser Gruppe sind Ausländer.

Bevor die Wehrpflicht abgeschafft wurde, hat man nie getestet, wie sich die verschiedenen Gruppen verhalten würden. Die Gruppen teilen sich rechtlich in Deutsche ohne Migrationshintergrund, Deutsche mit Migrationshintergrund und Ausländer.

Die ersten beiden Gruppen würden von der Wehrpflicht erfasst. Im Jahr 2019 gaben 8,9 % der Bundeswehrangehörigen an, einen Migrationshintergrund zu haben. Das liegt nur wenig unter dem geschätzten Anteil in der Gesamtbevölkerung von 12 %. Damals waren die meisten dieser Gruppe Russlanddeutsche. Es gibt keine Erfahrungen, wie sich beispielsweise junge Männer türkischer Herkunft verhalten würden. Doch einige Männer haben die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen, um dem türkischen Militärdienst zu entkommen. Wie würden sie auf eine deutsche Wehrpflicht reagieren?

Die Wehrpflicht könnte erneut ebenso für soziale Spannungen sorgen, da nicht alle Gruppen gleichermaßen davon betroffen wären und die rechtlichen Voraussetzungen eine vollständige Einbeziehung nicht zulassen. Daher bleibt es ein soziales Experiment mit ungewissem Ausgang.

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