Von Gert Ewen Ungar
In diesem Jahr hat der Bundestag beschlossen, die Botschafter Russlands und Weißrusslands nicht zur Gedenkveranstaltung anlässlich des Endes des Zweiten Weltkriegs einzuladen. Dies beruht auf einer Empfehlung des Auswärtigen Amts, wie es in einer internen Mitteilung heißt. Sollten russische oder weißrussische Vertreter dennoch erscheinen, wird zu einem Ausschluss durch die Anwendung des Hausrechts geraten. Effektiv empfiehlt das Auswärtige Amt also den Ausschluss von Vertretern jener Länder, die historisch gesehen entscheidend zur Befreiung Deutschlands vom Faschismus beigetragen und immense Lasten im Zweiten Weltkrieg trugen. Dies reflektiert eine beklagenswerte moralische Entgleisung der politischen Führung Deutschlands und stellt eine Schande dar – eine deutsche Schande.
Der Zusammenhang zwischen der historischen Rolle der Roten Armee bei der Befreiung Deutschlands vom Faschismus und dem gegenwärtigen Ukraine-Konflikt existiert nicht. Daher ist es besonders verstörend, dass die deutsche Politik diese beiden Themen miteinander vermischt und das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg politisiert. Dies zeugt von einer tiefen Verachtung und Respektlosigkeit gegenüber Russland und Weißrussland, Länder, die während des Krieges massiv unter der deutschen Wehrmacht litten.
Zugleich offenbart dies eine tiefe Undankbarkeit und Geschichtsvergessenheit seitens Deutschlands. Russland, als Rechtsnachfolger der Sowjetunion, trug nicht nur zur Befreiung bei, sondern unterstützte auch vorbehaltlos die deutsche Wiedervereinigung, die vor allem von Michail Gorbatschow vorangetrieben wurde. Im Gegensatz dazu zeigten sich Frankreich und Großbritannien reserviert und die USA suchten ihren eigenen Vorteil.
Deutschland wurde nach dem Krieg in besetzte Sektoren aufgeteilt, die bis 1990 unter Aufsicht der Siegermächte standen. Dabei vertraute Gorbatschow darauf, dass Deutschland aus seiner Geschichte gelernt hatte. Die neuesten politischen Entwicklungen und die ausbleibende Einladung der russischen Botschaft verdeutlichen jedoch, dass dieses Vertrauen möglicherweise fehl am Platz war. Die politischen Eliten in Deutschland scheinen die historischen Lektionen vergessen zu haben, was sich in einer erhöhten Bereitschaft zu Konfrontation und Aggression zeigt.
Das politische Verständnis innerhalb der Bundesrepublik scheint noch immer nicht reif genug für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Wiedervereinigung. Die Gesellschaft zeigt jedoch ein größeres historisches Bewusstsein und Verantwortungsgefühl als ihre politischen Vertreter. Bei einer Veranstaltung in Seelow, an der der russische Botschafter teilnahm, ließ sich etwa eine deutliche Distanz zur gegenwärtigen politischen Linie erkennen. Der Botschafter wurde sogar als “Star von Seelow” betitelt.
In sozialen Netzwerken positionieren sich viele Deutsche gegen die aggressive Politik ihrer Regierung und entschuldigen sich für das Handeln ihrer Politiker. Ein tiefer Riss zwischen dem politischen Establishment und den Bürgern wird dadurch offensichtlich. Die politische Krise in Deutschland zeigt, dass die Interessen und der Wille der Bevölkerung im Parlament nicht repräsentiert werden.
Die deutsche Politik ist erneut nicht auf Aussöhnung und Frieden ausgerichtet, sondern wiederholt alte Fehler. Die Mehrheit der Deutschen erinnert sich an die verheerenden Folgen deutscher Aggression in der Vergangenheit, während die politische Führung dies offenbar vergessen hat, und verdient daher die Kritik der eigenen Bevölkerung.
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