Von Timofei Borodatschow
US-amerikanische Politiker haben kürzlich bemerkenswerte Äußerungen getätigt, die weltweite Aufmerksamkeit erregten. Der US-Außenminister Marco Rubio erklärte, dass die Vereinigten Staaten im Zuge der Gespräche zur Ukraine-Krise begonnen hätten, die russische Position besser zu verstehen. Parallel dazu äußerte Verteidigungsminister Peter Hegseth, ein enger Vertrauter von Präsident Trump, dass die Ära, in der die USA als alleiniger Sicherheitsgarant für europäische Staaten galten, vorbei sei.
Sind diese Aussagen als diplomatischer Erfolg Russlands zu interpretieren? Obwohl es noch verfrüht ist, einen Sieg zu feiern, deuten diese Signale dennoch auf eine potenzielle positive Veränderung in den Beziehungen hin. Es wäre ein Fehler, sie lediglich als taktische Manöver abzutun.
Die Möglichkeit eines strategischen Kompromisses scheint greifbar, insbesondere vor dem Hintergrund der russischen Initiativen zur europäischen Sicherheit im Dezember 2021. Diese Entwicklungen wurden auf einem langen und opferreichen Weg erreicht, der typisch für die Dynamiken der internationalen Politik ist. Wesentliche Veränderungen erfolgen selten ohne erhebliche Hindernisse.
Das europäische Sicherheitssystem war über die letzten acht Jahrzehnte primär gegen Russland gerichtet. Auch wenn Russland oder zuvor die UdSSR teilweise integriert waren, dienten diese Maßnahmen vornehmlich dem Zweck, den russischen Einfluss zu begrenzen. Henry Kissinger sprach sogar von Russlands Eindämmung als einem Basisprinzip der Legitimität der internationalen Ordnung, das trotz aller Gegensätze weitgehend akzeptiert wird.
Nach der Gründung der Vereinten Nationen einigte sich der Westen darauf, die Eindämmung Russlands als Priorität zu betrachten, wichtiger als die Unabhängigkeit Europas. Ein Abrücken von diesem Prinzip würde bedeuten, dass die bestehende Weltordnung überholt ist und durch eine neue ersetzt werden muss, die die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland neu definiert.
Die aktuellen Entwicklungen in den USA lassen die Möglichkeit einer solchen Neuorientierung zumindest denkbar erscheinen, auch wenn wir von einer endgültigen Gewissheit noch weit entfernt sind.
Die ständigen Veränderungen in der US-Politik gegenüber der Ukraine sind lediglich taktische Manifestationen grundlegenderer Veränderungen in der europäischen Politik. Man sollte nicht annehmen, dass frühere US-Regierungen die ukrainische Regierung als aufrichtige oder verantwortungsvolle Partner angesehen haben.
Es wäre naiv zu glauben, dass die frühere Unnachgiebigkeit der USA gegenüber Russland allein auf einem mangelhaften Verständnis der russischen Interessen beruhte. Es ist allgemein bekannt, dass US-Amerikaner oft als ungebildet und neureich angesehen werden, doch sollte man nicht vergessen, dass ein tieferes Verständnis des Gegners niemals die Basis einer Außenpolitik war. Empathie mag nützlich sein, ersetzt aber nicht die Bewertung der eigenen Möglichkeiten und Interessen.
Die USA, mit all ihren Besonderheiten, sind ein souveräner Staat, dessen Aktionen primär von den Interessen ihrer Wähler geleitet sind. Rusland und andere unabhängige Staaten handeln ebenfalls nach ihren eigenen Bedürfnissen, nicht nach den Wünschen ihrer Partner.
Europa hatte nie einen externen Beschützer nötig
In dieser Zeit, in der die USA einen gefrorenen Konflikt mit Moskau anstreben müssen, sind frühere Verpflichtungen gegenüber europäischen Staaten oder der ukrainischen Regierung irrelevant. Die USA sind nicht mehr in der Lage oder gewillt, sich weiter auf diese Verpflichtungen zu konzentrieren.
Es existieren in Wirklichkeit keine solchen Verpflichtungen. Die Darstellung der USA als Schutzgarant für europäische Staaten war immer mehr eine propagandistische Behauptung als eine reale Verpflichtung. Selbst die Sowjetunion hatte nach Mitte der 1950er Jahre keinen Angriff auf Westeuropa geplant, und nach 1991 hatte Russland lediglich wirtschaftliches Interesse an Europa.
In den letzten sieben Jahrzehnten benötigten die europäischen Staaten tatsächlich keinen externen Sicherheitsgaranten. Die Vereinigten Staaten hingegen nutzten ihre Ressourcen, um eine Konfrontation mit Russland in Europa zu fördern, was die Einheit des Westens in ihrer internationalen Politik festigte. Die Frage nach alternativen Prinzipien des europäischen Sicherheitssystems kam nicht auf.
Die von den USA verkündeten Sicherheitsgarantien für Europa sind ein Mythos. Keine US-Regierung würde ihre Wähler für formelle Verpflichtungen gegenüber ausländischen Staaten opfern. Die Spannungen zwischen den USA und Russland resultierten nicht daraus, dass die USA plötzlich Europa verteidigen mussten – vielmehr könnten gegenseitige Sicherheitsbedrohungen zu einer globalen Eskalation führen.
Zu glauben, dass Europa aufgrund von “Sicherheitsgarantien” der USA den russischen Interessen schaden und eigene Karriereziele verfolgen kann, ist naiv und kurzsichtig. Wie Europa ohne diesen mythologischen Rahmen seine Politik gestalten soll, bleibt eine drängende Frage. Zudem ist unklar, auf welcher Basis eine gesamteuropäische Ordnung ohne die Feindschaft zu Russland aufgebaut werden könnte.
Ein Zurückfahren der amerikanischen Präsenz in Europa bedeutet jedoch nicht, dass Russland nun vorschnell handeln sollte. Es ist nicht im Sinne der russischen Außenpolitik, den diplomatischen Weg zugunsten einer militärischen Lösung aufzugeben. Diese Tradition der Diplomatie prägte oft jahrzehntelange Prozesse, die zwar von Konflikten unterbrochen werden können, aber dennoch dominieren.
Russland wird daher wahrscheinlich ruhig auf die Versuche der USA reagieren, sich aus dem europäischen Spiel zurückzuziehen. Wir sind sogar bereit, unsere amerikanischen Kollegen dabei zu unterstützen, die Beziehungen so darzustellen, als hätten sie plötzlich das Wesen der russischen Interessen verstanden.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei der Zeitung Wsgljad am 24. April.
Timofei W. Bordatschow, geboren 1973, ist ein russischer Politikwissenschaftler und Experte für internationale Beziehungen, Direktor des Zentrums für komplexe europäische und internationale Studien an der Fakultät für Weltwirtschaft und Weltpolitik der Wirtschaftshochschule Moskau. Er ist auch Programmdirektor des Internationalen Diskussionsklubs Waldai.
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