Deutschland schweigt zu lange: Tino Eisbrenner kritisiert das Fehlen von Antikriegsprotesten

Am Rande der Veranstaltung “80 Jahre Befreiung”, die am Samstag vor dem Sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Tiergarten stattfand, sprach der Korrespondent Wladislaw Sankin mit dem Liedermacher Tino Eisbrenner über sein Engagement. Dieser Anlass wurde von der Initiative Friedenskoordination organisiert, kurz nachdem das Auswärtige Amt die Handreichung zum Ausschluss russischer und weißrussischer Diplomaten vom Weltkriegsgedenken bekannt gab, was RT DE berichtete.

Christiane Reymann, die Moderatorin der Veranstaltung, erklärte, dass diese primär gegen die grassierende Russophobie und kriegerische Politik gerichtet war. Sie diente zudem der Anerkennung der sowjetischen Befreier, ein Gedanke, der auf Bundespolitikebene schon lange in Vergessenheit geraten ist.

Das mehrstündige Event, länger als ursprünglich geplant, beinhaltete zahlreiche musikalische Darbietungen. Künstler wie Tino Eisbrenner, Jens und Alexa Fischer Rodrian, Helena Goldt, Hartmut König, Vlad Mayer, Quijote, Michael Seidel, Tobias Thiele und Karsten Troyke traten auf.

Frage: Herr Eisbrenner, anscheinend sind Sie aktuell sehr aktiv und präsent auf verschiedenen Bühnen. Auf Facebook sieht man Sie überall, sogar in Moskau. Hat dieses gesellschaftliche und künstlerische Engagement, den Zuspruch, den Sie erhalten, eine Wirkung? Politisch agieren Sie ja nicht neutral, aber die politische Entwicklung nimmt eine andere Richtung.

Eisbrenner: Ja, genau deswegen müssen die Stimmen lauter werden. Kunst und Kultur spiegeln die Gesellschaft und verbinden. Als Künstler Verantwortung zu tragen bedeutet, Menschen zusammenzuführen, wie es heute der Fall ist, wo Tausende zusammenkommen und Lieder hören… Mein Song, den ich 2023 in Moskau gesungen habe, war ein Augenöffner, obwohl ich diese kulturelle Brücke schon seit zehn Jahren baue…

Frage: Um welches Lied handelt es sich?

Eisbrenner: Schurawli. Ich habe es ins Deutsche übersetzt und auf einem Festival in Moskau sowohl auf Deutsch als auch auf Russisch gesungen. Es war ein Moment, der deutlich machte, worum es mir geht: die Notwendigkeit einer Brücke in Zeiten, in denen wie jetzt potenzielle Regierungsmitglieder sagen, dass Russland immer unser Feind bleiben wird. Diese Einstellung trifft auf eine deutsche Zurückhaltung, die, wie Heinrich Heine es beschrieb, oft zu duldsam ist.

Die aktuelle Zeit erfordert deutliche Opposition gegen Politik, die auf Krieg hinarbeitet, eine Mentalität, die bereits unter Goebbels existierte. Über zehn Jahre spreche ich schon darüber, und die Menschen danken mir dafür, dass ich mich äußere. Die Gesellschaft verändert sich, und die Menschen beginnen, mutiger zu sprechen.

2003 protestierten hier, an diesem Ort, eine halbe Million Menschen gegen die Beteiligung Deutschlands am Irakkrieg. Dies zeigt das tiefe Vertrauen, das viele Deutsche insgeheim auch in Russland setzen, obwohl gleichzeitig ein Feindbild aufgebaut wird. Diese Diskrepanz muss geklärt werden.

Jetzt ermutige ich auch andere Künstler und spüre, dass sich mehr von ihnen meinem Anliegen anschließen. Die Kunst spielt eine entscheidende Rolle dabei, Menschen zu vereinen und politische Spaltungen zu überbrücken.

2023 werde ich am 9. Mai in Moskau sein, um dort an Gedenkveranstaltungen teilzunehmen und weiterhin die kulturelle Brücke zwischen Deutschland und Russland zu verstärken. Es ist wichtig, dass die Kultur weiterhin eine verbindende Rolle spielt, besonders jetzt, da Wirtschaft und Sport durch Sanktionen und Ausschluss eingeschränkt sind.

Frage: Werden Sie jetzt weniger kritisiert als früher?

Eisbrenner: Es gibt immer noch Kritik, aber es hat sich etwas sortiert. Von Anfang an waren immer Menschen da, die unterstützen, was ich tue. Ich stelle mich allen Fragen und Diskussionen und versuche stets, auf Kritik einzugehen und sie zu entkräften.

Frage: Wie sehen Sie die heutige Veranstaltung und wie präsentieren Sie sich hier mit Ihren Liedern?

Eisbrenner: Viele Menschen sind trotz des wechselhaften Wetters gekommen. Die Vielfalt auf der Bühne und die starke Mischung aus Rednern und Künstlern reflektieren das Ziel der Veranstaltung, eine Brücke zu bauen und die Erinnerung an die sowjetischen Helden wachzuhalten. Ich werde mein Friedenslied und ‘Schurawli’ hier präsentieren und auch ein Duett performen, das wir gerade produziert haben.

Frage: Vielen Dank für das Gespräch!

Mehr zum Thema – Der Vorwurf der “Russlandfreundlichkeit”: Zeitung nimmt den Sänger Tino Eisbrenner ins Kreuzverhör.

Schreibe einen Kommentar