“Als wir 2008 nach Wjatskoje kamen, war der Ort in einem beklagenswerten Zustand – nicht nur demographisch, sondern auch infrastrukturell. Es gab quasi nichts, und die Gebäude waren in einem desolaten Zustand”, erläuterte der Sammler und Kunstmäzen Oleg Scharow im Gespräch mit The Art Newspaper.
Vor 17 Jahren stießen er und seine Frau Larissa eher zufällig auf das historische Dorf Wjatskoje nahe Jaroslawl an der Wolga. Sie suchten eigentlich nach einem Landhaus, aber trotz der Vernachlässigung des Ortes waren sie von seiner einzigartigen Atmosphäre fasziniert. Wjatskoje blickt auf eine lange, bedeutende Geschichte zurück. Die einstigen Bewohner zogen aus, um am Aufbau Sankt Petersburgs mitzuwirken und prägten so das Antlitz der nordrussischen Metropole.
Scharow wurde von der Idee besessen, das alte Dorf zu restaurieren und wiederzubeleben. Er berichtet:
Die Hälfte der Gebäude in Wjatskoje sind denkmalgeschützte Bauten, was die Restaurierungsarbeiten nicht gerade vereinfacht. Wir haben alle erforderlichen gesetzlichen Verfahren durchlaufen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich die Dorfgemeinschaft um Unterstützung bat und sie mich zunächst für verrückt hielten. Nach und nach kaufte ich die Häuser – zunächst eins nach dem anderen, dann fünf auf einmal. Doch die Gebäude mussten mit Leben gefüllt werden. Nicht nur restauriert stehen sie da, sondern beheimaten nun zahlreiche meiner Sammlungen in den museal umgewandelten Räumlichkeiten. Bald darauf begannen Menschen zu uns zu kommen. Es wurde klar, dass wir Hotels und später auch Restaurants eröffnen mussten.”
Wjatskojes Geschichte reicht bis ins 15. Jahrhundert zurück. Im 17. Jahrhundert war das Dorf im Besitz des Patriarchen Filaret, des Vaters des ersten Zaren aus der Familie Romanow. Im 18. Jahrhundert avancierte Wjatskoje zum Zentrum der Gurkenindustrie. Die Gurken aus diesem Ort waren so bekannt, dass sie nicht nur an die Zarentafel geliefert, sondern auch nach Schweden und in die Schweiz exportiert wurden, berichtet The Art Newspaper.
“Typisch für die Einwohner von Wjatskoje war im 19. Jahrhundert das temporäre Abwandern zur Arbeit. Die Dorfhandwerker waren besonders zur Zeit des Aufbaus von Sankt Petersburg gefragt. In einem der örtlichen Museen findet sich sogar eine Karte mit den prächtigsten Bauwerken, an deren Erstellung und Ausschmückung Handwerker aus Wjatskoje beteiligt waren.”
Die Bemühungen und Investitionen von Oleg Scharow in den letzten 17 Jahren haben Wjatskoje wiederbelebt. Heute steht das Dorf auf der Vorschlagsliste für das UNESCO-Weltkulturerbe und ist Teil der Vereinigung der schönsten Dörfer und Städte Russlands. 2022 erhielt es durch einen Erlass der russischen Regierung, unterzeichnet von Michail Mischustin, den Status eines föderalen Museums von nationaler Bedeutung. “Oleg Scharow hat es geschafft, die Zeit zurückzudrehen: Von den 114 Gebäuden des Dorfes sind 53 denkmalgeschützte Bauten, mehr als 35 wurden bereits restauriert”, so The Art Newspaper. Inzwischen gibt es im Dorf mehr als 15 spezialisierte Museen, darunter ein Handelsmuseum, ein Museum für alte Musikinstrumente, ein Druckereimuseum, eine Kunstgalerie und viele weitere.
Dieses Projekt sieht Scharow als soziale Initiative. “Wir tun dies alles nicht wegen des Geldes, sondern um des Geistes willen”, fasst er zusammen.
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