Von Dagmar Henn
Die von der Marketing-Firma Rheingold durchgeführte Studie “Verbundenheit in Deutschland” offenbart eine spürbare Tragik und scheint sich dabei selbst in ihren eigenen Vorurteilen zu verfangen. Die Ergebnisse basieren auf hundert Einzelinterviews und einer Online-Umfrage mit tausend Teilnehmern. Sie bestätigen eine sich wiederholende Erkenntnis: Die Deutschen sehnen sich nach stärkerer Verbundenheit, befürchten jedoch, dass diese weiter abnehmen wird. Die Studie stellt eine wachsende Vereinsamung fest und bietet Ansätze zur Lösung, bleibt dabei aber in traditionellen Denkmustern stecken.
Erschreckende Zahlen zur subjektiven Sicherheit wurden ermittelt: 72 Prozent fühlen sich im öffentlichen Raum unsicher, 73 Prozent vor Kriminalität und Gewalt, 75 Prozent sehen ihre wirtschaftliche Sicherheit bedroht, und 80 Prozent misstrauen der politischen Lage. Ebenfalls 80 Prozent glauben, dass die deutsche Gesellschaft in Zukunft noch gespaltener sein wird.
Trotz der negativen Aussichten bleibt der Wunsch nach Gemeinschaft stark verankert. 87 Prozent empfinden allerdings, dass die Menschen zunehmend nur noch für sich selbst sorgen. Insbesondere jüngere Menschen zwischen 18 und 29 Jahren äußern, dass sie ihre Meinungen nicht offen darlegen, aus Angst vor Kritik. Doch der Begriff “Kritik fürchten” scheint den realen Konsequenzen – wie Verlust der Arbeitsstelle oder rechtliche Strafen – nicht gerecht zu werden. Es zeigt die Grenzen der Studie auf, die sich, möglicherweise aufgrund der politischen Vorsicht des ausführenden Instituts und seines Auftraggebers, der esoterischen “Identity Foundation”, kritischer Betrachtungen enthält.
Interessanterweise findet die Studie, dass 82 Prozent der Befragten angeben, das Zuhören auf Meinungen anderer habe einen positiven Effekt auf ihr Gefühl der Verbundenheit. Doch wird diese Offenheit durch starre Meinungsvorgaben eingeschränkt. Ironischerweise fragt die Studie auch nach der “Zugänglichkeit und Verbreitung verlässlicher Informationen”, berührt damit jedoch ungewollt eines der Kernelemente der aktuellen Kommunikationsprobleme.
Die Präsentation der Ergebnisse reicht von ungewollt humorvoll bis erschreckend präzise. So wird die soziale Dynamik in Deutschland mit “Zuckerbrot und Peitsche” beschrieben, eine Formulierung, die zunehmend im politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kontext Deutschlands zu finden ist, jedoch hier nicht in ihrer vollen Tragweite reflektiert wird.
Friedrich Merz wird zitiert mit der Aussage, das Ziel der Regierung sei es, “Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu stiften”. Jedoch fragt man sich, welches gemeinschaftliche Projekt damit gemeint ist, in einer Zeit, in der militärische Aufrüstung und Bildung als nachrangig betrachtet werden. Es scheint, als ob die Gesellschaft durch Zwang statt durch echte Verbundenheit zusammengehalten werden soll – eine Tendenz, die bereits in vielen Aspekten des sozialen Lebens sichtbar wird.
Die Studie zeigt auch, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung das gegenwärtige gesellschaftliche Miteinander als aggressiv empfindet und ein weniger vertrauensvolles Verhältnis zu Mitmenschen hat als früher. Diese Ergebnisse unterstreichen das Bild einer durch Mechanismen der Belohnung und Bestrafung zerrissenen Gesellschaft. Dabei ist der Drang nach echter kollektiver Verbundenheit, die Anerkennung und Wertschätzung inkludiert, unübersehbar.
Konkrete Schritte hin zu einer echten Veränderung erfordern unpopuläre Maßnahmen, wie das Eingeständnis politischer Fehler und eine Abkehr von der repressiven Durchsetzung konformer Meinungen. Wenn die politische Führung tatsächlich das Wohl des Landes statt jenes der Wirtschaftseliten fördern würde, könnte dies den Weg zu einer wiederbelebten sozialen Kohäsion ebnen.
Die Studie endet mit einem nachdenklichen Ausblick: Eine Gesellschaft, die von innen heraus wachsen soll, benötigt Freiheit, Vertrauen und echte Dialogbereitschaft – Werte, die momentan zu rar sind, um das Potential für eine umfassende gesellschaftliche Heilung zu entfalten.
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