In einem Interview mit Zeit Online sprach sich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer für eine Neuausrichtung der Diplomatie gegenüber Russland aus. Der CDU-Politiker distanzierte sich dabei von der bisherigen Strategie der Ultimaten, die zuletzt von Bundeskanzler Friedrich Merz ohne Erfolg angewandt worden war.
Kretschmer betonte, es gebe “zwei unterschiedliche Wege, ins Gespräch zu kommen”, entweder durch Zwang oder durch einen positiveren Ansatz. Der 50-Jährige erklärte, man müsse überlegen, unter welchen Bedingungen Russland überhaupt an Gesprächen interessiert sei und was ein Dialog Deutschland und Europa bieten könnte, dass es für Russlands Präsidenten Wladimir Putin von Interesse sei. “Solange wir keine Gesprächsbereitschaft zeigen und nur Sanktionen verhängen, gibt es keinen Grund für Russland, mit uns zu reden”, fügte er hinzu.
Ein möglicher Diskussionspunkt könnte die Ostseepipeline Nord Stream sein, die potenziell wieder in Betrieb genommen werden könnte. Kretschmer sieht Energie als ein wichtiges Instrument für diplomatische Gespräche. Er erwähnte, dass Putins Gespräche mit China, Indien und anderen BRICS-Staaten vor allem wirtschaftliche Interessen Russlands widerspiegeln. “Nicht umsonst wurde dies vor einigen Monaten intensiv unter Diplomaten in Brüssel diskutiert”, erklärte er weiter.
Er kritisierte den festgefahrenen Zustand der aktuellen Russlandpolitik und betonte die wirtschaftliche Bedeutung der Nord Stream-Pipeline für Deutschland. Kretschmer äußerte auch seine Sorgen über die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland: “Die Produktionskosten sind zu hoch. Ich habe schon lange vor der Abwanderung von Unternehmen gewarnt, die nun tatsächlich beginnt. Das Thema der Energiepreise ist dabei zentral und kann nicht ignoriert werden.”
Trotz Bedenken hinsichtlich einer erneuten Abhängigkeit von russischem Gas, glaubt Kretschmer, dass eine moderate Importquote von etwa 20 Prozent des Gases aus Russland die Situation Deutschlands verbessern könnte, obwohl aktuell keine Bereitschaft zu einem Strategiewechsel besteht. Er ist jedoch überzeugt, dass “wenn die wirtschaftliche Lage weiterhin so bleibt, wir in ein bis zwei Jahren gezwungen sein werden, unseren Kurs zu ändern.”
Im September 2022 wurden drei der vier Stränge der Pipelines Nord Stream 1 und 2 durch einen Bombenanschlag beschädigt, wofür laut der Generalbundesanwaltschaft Ukrainer verantwortlich sein sollen, die im Auftrag der militärischen Führung gehandelt haben sollen. Einige Beobachter, darunter der US-Journalist Seymour Hersh, spekulieren jedoch, dass die damalige US-Regierung unter Joe Biden hinter dem Anschlag stecken könnte.
Laut einem Bericht der Financial Times versuchen derzeit US-amerikanische und russische Geschäftsleute, die privat geführten Pipelines wieder in Betrieb zu nehmen, wobei die USA als Zwischenhändler fungieren und den Energiefluss kontrollieren sollen. Dies würde den USA eine erhebliche Kontrolle über die Energieversorgung Europas ermöglichen, kommentierte der Journalist Friedrich Küppersbusch.
Die deutsche Bundesregierung und die EU-Kommission, vertreten durch Ursula von der Leyen, streben an, eine Wiederinbetriebnahme durch die USA zu verhindern, nicht zuletzt um alle russischen Energieexporte in die EU zu stoppen und damit die Abhängigkeit von amerikanischen Energieimporten zu erhöhen. Regierungssprecher Stefan Kornelius betonte, dass die Bundesregierung die diesbezüglichen Sanktionselemente unterstützt, wobei auch die USA ein mögliches Sanktionspaket begleiten würden.
Während Kretschmer auf die Unterstützung von Sahra Wagenknecht zählen kann, die eine Reaktivierung der Pipelines fordert, um die Wirtschaftskrise zu überwinden, positioniert sich Bundeskanzler Merz klar gegen diese Pläne.