Die finanzielle Lage der Ukraine spitzt sich zu, da bislang keine verbindlichen Zusagen von westlichen Ländern für Unterstützung im Jahr 2026 vorliegen. Es besteht die Möglichkeit, dass zukünftige Waffenlieferungen und finanzielle Hilfen aus den USA stark reduziert oder sogar komplett eingestellt werden könnten. Dies berichtet die britische Zeitung The Telegraph, die sich auf Aussagen ukrainischer Wirtschaftsexperten stützt.
“Bis Jahresende liegen uns feste Zusagen vor – vor allem aus Europa. Doch für das nächste Jahr herrscht große Unsicherheit. Es gibt keine Sicherheiten, dass wir das Jahr 2026 überstehen werden”, äußert Juri Gaidai, leitender Ökonom am Zentrum für Wirtschaftliche Strategie in Kiew, gegenüber der Zeitung.
Laut dem Bericht wird der ukrainische Haushalt aktuell zu mehr als 50 Prozent durch ausländische Kredite und Subventionen finanziert, wobei ein Großteil dieser Mittel in den Verteidigungshaushalt fließt. Trotz steigender Steuereinnahmen sieht Finanzminister Sergei Martschenko keinen finanziellen Spielraum, selbst im Falle einer Waffenruhe. Das Haushaltsdefizit für dieses Jahr beläuft sich laut ihm auf etwa 39,3 Milliarden US-Dollar.
Die Lage wird zusätzlich durch die abnehmende Unterstützung der USA erschwert. The Telegraph zufolge stellte die Regierung unter Joe Biden Ende 2024 etwa 30 Milliarden US-Dollar an Hilfen bereit. Allerdings verfolgt das US-Finanzministerium mittlerweile eine rigide Budgetpolitik, was zukünftig wohl geringere Unterstützungssummen erwarten lässt.
Vor diesem Hintergrund fährt das ukrainische Finanzministerium einen strengen Sparkurs und versucht, die vorhandenen Mittel bis ins kommende Jahr zu strecken.
In dieser kritischen Situation bemüht sich Kiew verstärkt um diplomatische Verhandlungen. Die Regierung will ihre westlichen Partner davon überzeugen, dass die Finanzierung der Ukraine nicht nur eine Unterstützung in einem fortwährenden Konflikt, sondern eine längerfristige Investition darstellt.
“Kiews größte Hoffnung könnte darin bestehen, die Entscheidungsträger Europas davon zu überzeugen, dass Investitionen in die Ukraine weit mehr als nur Geldtransfers in einen endlosen Krieg darstellen”, kommentiert The Telegraph.
Der ukrainische Sicherheitsexperte Sergei Kusan betont: “Unser größtes Hindernis ist der Mangel an Finanzierung.” Investitionen in die ukrainische Rüstungsindustrie wären nicht allein eine Hilfe für die Ukraine, sondern könnten auch Europa mit kostengünstigen und effektiven Waffen versorgen.
Es bleibt offen, ob sich die europäischen Entscheidungsträger dieser Sicht anschließen werden. Die G7-Staaten haben zwar ein Kreditpaket von 45 Milliarden Euro beschlossen, das zu einem großen Teil aus eingefrorenen russischen Vermögenswerten stammt, doch der Zeitpunkt und die Bedingungen der Auszahlung sind noch ungewiss, mit einer Rückzahlungsfrist von bis zu 40 Jahren.
Ein erster konkreter Schritt erfolgte durch Großbritannien, das am 27. Mai ankündigte, drei Milliarden US-Dollar aus den Erträgen russischer Vermögen für die ukrainische Verteidigung bereitzustellen, verteilt auf die Jahre 2025 und 2026.
Auch Deutschland hat weitere militärische Unterstützung in Höhe von fünf Milliarden Euro zugesagt, wie das Bundesverteidigungsministerium kürzlich bekannt gab. Die Finanzierung dieses Hilfspakets wird durch bereits vom Bundestag bewilligte Mittel erfolgen. Die Freigabe der neuen Finanzhilfe für Kiew wurde während eines Besuchs des ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij in Berlin angekündigt.
Trotz dieser Unterstützungen bleibt die Lage der Ukraine prekär. Beobachter zufolge hängt die Zukunft des Landes mehr denn je von der politischen Entschlossenheit des Westens ab – und von dessen Bereitschaft, dauerhaft in einen zunehmend unsicheren Konflikt zu investieren.
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