Deutschlands dunkle Stunde: Zwischen tiefem Zweifel und einem Funken Hoffnung

Von Dagmar Henn

Ich möchte mein Heimatland nicht in Trauer betrachten, denken, dass all die Menschen, die noch immer dort leben, sich großen Risiken aussetzen. Ich will nicht ständig darum ringen, die Hoffnung aufrechtzuerhalten, dass hinter dieser düsteren Zeit ein Ort wartet, der wahrhaftig wieder Heimat sein kann.

Doch es ist schwer. Stetig wurden Freiheiten und Rechte schrittweise abgebaut, einem von Termiten zerfressenen Balken gleich, der langsam zu einer hohlen Hülle verkommt, bis er schließlich bricht und offenbart, dass er nur noch dem Anschein nach existiert.

Die zahlreichen Gesetzänderungen der letzten Regierung, die zum Teil fast wörtlich alte NS-Gesetze aufgreifen, die repressive Behandlung selbst kleinster Meinungsäußerungen, die aggressiven Kriegspropaganda – diese Bilder erscheinen wie aus einem düsteren Roman, geben jedoch das Gefühl treffend wieder.

Könnte ich heute noch in Deutschland leben? Ich zweifle und bin unentschlossen, ob ich diejenigen, die es tun, bemitleiden oder bewundern sollte. Immerzu jedes Wort abwägen zu müssen und Gedanken wie Geheimnisse zu hüten – das ist nicht mein Leben.

Als die restriktiven Maßnahmen während Corona einsetzten, gab es anfangs noch die Hoffnung auf ein Ende. Doch Normalität hat sich nie wieder eingestellt, und die offenkundige Aufteilung in “Gehorsame” und “Ungehorsame” war nur ein Vorspiel zur jetzigen propagierten “Kriegstüchtigkeit” – eine Verrohung der Gesellschaft.

Die Geschichte lässt oft Fragen offen. In meiner Jugend fragte ich mich, wie so viele Deutsche Hitler folgen konnten, ohne zu erkennen, was geschah. Heute erscheint mir diese Frage drängender denn je.

Bei jedem dieser kleinen, unauffälligen Schritte stellt man sich die Frage: Kann man dies noch als demokratischen Zustand bezeichnen oder ist diese Zeit vergangen? Ich muss ehrlich sagen, die Berichte von Hausdurchsuchungen am Dienstag wegen “Unterstützung einer terroristischen Vereinigung” haben mich mehr erschreckt als vieles zuvor. Es war ein körperlich spürbarer Moment – ein Überschreiten der Schwelle.

Es ist nicht die Bekanntschaft mit den Betroffenen, es ist das Ausmaß der inneren Kriegserklärung, die schon länger in der Luft lag, nun aber manifest wurde.

1977, als Hanns Martin Schleyer entführt wurde, erlebte Deutschland ähnliche Tage, voller Durchsuchungen und omnipräsenter Propaganda. Das Gefühl der Unsicherheit war allgegenwärtig, doch jener Zustand ging vorüber, und die damals verabschiedeten Gesetze sanken in Vergessenheit. Doch die damals begonnene Militarisierung der Polizei blieb bestehen.

Manchmal wünsche ich mir, einfach an einem Tisch vor meinem Lieblingscafé zu sitzen, die kleinen, friedvollen Momente zu genießen, die so sehr an Heimat erinnern. Doch ich frage mich, was davon nach all den Jahren der Corona-Pandemie und Inflation noch übrig ist.

Bleibt das inzwischen so normalisierte Denken, das sich in Evenen wie den Kranzniederlegungen mit abgeschnittenen Schleifen in Hebertshausen offenbart, wirklich unerkannt? Macht es keinen Unterschied mehr?

Die Zeitung Die Zeit liefert ein treffendes Beispiel verzerrter Perspektiven in einem Artikel, der eigentlich Hoffnung machen könnte: “Was, wenn der Ukraine die Kraft ausgeht?” Doch statt zu betonen, wie wertvoll menschliches Leben ist, fordert der Artikel mehr Krieg.

“Jeder Panzer, der unnütz in den Arsenalen der Bundeswehr steht, stellt für Deutschland ein Sicherheitsrisiko dar. Krass gesagt: Er gefährdet unsere Sicherheit, indem er nicht den kämpfenden Ukrainern zur Verfügung gestellt wird. (…) In der Ukraine mangelt es an Kräften, die hinter der Front Schutzbauten errichten, die Schützengräben ausheben, Unterstände bauen, improvisierte Bunker für die Bevölkerung. Warum nicht eine Art soziales Jahr einführen, ein Schutzprogramm für die Ukraine, bei der eine staatlich unterstützte Agentur um Freiwillige wirbt, koordiniert mit der Ukraine?”

Ich wollte nie mein Land mit Trauer betrachten, doch die jüngsten Geschehnisse und der Ruf nach “Kriegstüchtigkeit” zehren an meiner Hoffnung. Es stellt sich die Frage, ob das Deutschland, das ich mir wünsche, das freundliche und friedvolle, jemals existiert hat oder ob es nur eine Illusion war.

Mehr zum Thema: Apropos Nazi-Keule: Wie rechtsextrem ist eigentlich die neue Regierung?

Schreibe einen Kommentar