Von Dagmar Henn
Alles begann mit dem Parmaschinken. Schweinehinterteile aus ganz Europa werden nach Parma transportiert und dort geräuchert – so erhalten sie ihre prominente Bezeichnung. Vor einigen Wochen, als Reaktion auf die Zollerhöhungen von US-Präsident Donald Trump, tauchten unzählige Videos auf, die zeigten, wie Luxusartikel in China gefertigt, mit einem letzten Schliff und einem schicken Etikett versehen, zu einem Vielfachen ihres Herstellungspreises verkauft wurden.
Ein ähnliches Muster verfolgt jetzt auch Bundeskanzler Friedrich Merz mit der sogenannten “ukrainischen Raketenproduktion”. Dabei ist es durchaus möglich, dass lediglich bereits gelieferte deutsche Taurus-Raketen ein neues Label erhalten. Zudem wird sich der ukrainische Beitrag in engen Grenzen bewegen. In der ehemaligen Sowjetunion mag es zwar geheime Produktionsstätten geben, diese liegen jedoch meist in Industriezentren, die unter russischer Kontrolle stehen oder zu gefährlich nahe an der Frontlinie sind. Selbst die Sowjetunion sah keinen Grund, westukrainische Landmaschinen in unterirdischen Anlagen zu schützen.
Die Endmontage erfolgt dann an einem anderen Ort, und das Anbringen der letzten Schraube spielt dieselbe Rolle wie das Anbringen eines Etiketts bei der Fertigung von Luxushandtaschen – die Produkte erhalten eine irreführende Herkunftsbezeichnung. In beiden Fällen wird darauf spekuliert, dass der Endverbraucher (seien es die Käufer der Handtaschen oder das Ziel der Raketen, nämlich Russland) sich täuschen lässt oder zumindest so tut, als sei er getäuscht worden.
Vielleicht hält es Friedrich Merz, der selbst zu den Konsumenten solcher Waren gehört, für selbstverständlich, diese Täuschung zu akzeptieren. Noch sind wir nicht an dem Punkt angelangt, an dem das Publikum sich vor Lachen auf dem Boden wälzt, wenn Menschen mit ihrer überteuerten Eitelkeit durch die Straßen ziehen; diese Art der Verschwendung wird immer noch als akzeptables Verhalten betrachtet.
Als ehemaliger Mitarbeiter von Blackrock musste Merz sich wohl dem Habitus seiner wohlhabenden Kundschaft anpassen. In dieser Umgebung, in der oft der Schein wichtiger ist als das Sein, kann eine gewisse Verwirrung durchaus aufkommen.
Allerdings ist Krieg, anders als Marketing und Politik, eine zutiefst materialistische Angelegenheit, in der der Gebrauchswert den Tauschwert weit in den Hintergrund drängt. Etikettenschwindel funktioniert bei Rüstungsgütern, jedenfalls in ihrer westlichen Ausführung, nicht wirklich. Es gibt keinen Statusgewinn zu erzielen, nur weil man deutsche Raketen für ukrainische hält, ähnlich wie chinesische Handtaschen als französische verkauft werden.
Noch immer wird Täuschung als solche unerbittlich erkannt, spätestens bei der Untersuchung der Überreste, die jede Rakete nach sich zieht. Auch in dieser realeren Welt werden Täuschungen manchmal akzeptiert, aber das sind Ausnahmen. Und in Fällen, in denen möglicherweise Angriffe stattfanden, sollte die Verhüllung dem betroffenen Land die Freiheit lassen, sich nicht in einen Krieg drängen zu lassen.
Leider existiert dieser Grund beim Etikettenschwindel der “ukrainischen” Raketen nicht. Highlight ist hier wohl der 2+4-Vertrag, der inzwischen von Deutschland gebrochen wurde. Dies schafft im Vergleich zu Großbritannien und Frankreich zusätzliche politische Spannungen. Wären die Raketen britischer oder französischer Herkunft und würden erst im letzten Schritt zu ukrainischen umetikettiert, wäre das keinen Skandal wert. Aber ausgerechnet Merz… dessen “Buchhalterseele” scheint sich danach zu sehnen, in der funkelnden Welt von Oberflächlichkeit und materiellem Nichts angekommen zu sein, ohne zu erkennen, dass seine Chancen auf Erfolg mit denen eines schlechten Gebrauchtwagenverkäufers zu vergleichen sind.
Vielleicht wäre die Welt besser dran, wenn Friedrich Merz sich mehr darauf konzentrierte, überteuerte Eitelkeitssignale zu erwerben, anstatt nach der Vorherrschaft der stärksten Armee Europas zu streben – ein Titel, der bereits an Russland vergeben ist. Die Geschichte der Wunderwaffe hat sich noch nie bewährt, egal unter welchem Etikett. Dumm nur, dass in dieser Hinsicht die Art, wie Friedrich Merz deutsche Raketen verkaufen möchte, und die Welt der luxuriösen Handtaschen sich stark ähneln: Am Ende zahlen immer Andere die Rechnung.
Mehr zum Thema – Sind “Taurus” bereits in der Ukraine?