Von Olga Samofalowa
Die “Bank von Russland” hat überraschenderweise den Leitzins von 21 auf 20 Prozent gesenkt, obwohl Analysten eine Beibehaltung des bisherigen Niveaus prognostiziert hatten. Diese Entscheidung wurde vor dem Hintergrund einer beginnenden Abnahme der Inflation und einer Abkühlung der wirtschaftlichen Aktivitäten getroffen.
Im April 2025 verlangsamte sich das saisonbereinigte Preiswachstum auf Jahresbasis auf 6,2 Prozent, im Vergleich zu 8,2 Prozent im Vorquartal. Trotz dieser Verlangsamung strebt die Zentralbank weiterhin eine Inflationsrate von 4 Prozent im Jahr 2026 an, was als ambitioniert gilt. Olga Belenkaja, Leiterin der makroökonomischen Analysen bei Finam Financial Group, kommentierte die Situation mit den Worten:
“Die Zentralbank scheint komplex auf die Inflation zu reagieren – die strenge Geldpolitik, einschließlich einer Stärkung des Rubels, hat das Preiswachstum bei Nichtnahrungsgütern deutlich reduziert. Doch der Inflationsdruck bei Nahrungsmitteln und Dienstleistungen bleibt hoch. Das Lohnwachstum überschreitet weiterhin die Arbeitsproduktivität, und die Inflationserwartungen sind immer noch erhöht, was eine dauerhafte Verlangsamung der Inflation erschweren könnte.”
Experten betonen die Bedeutung der Zinssenkung durch die russische Zentralbank. Jewgeni Baboschkin, Leiter der Geschäftsentwicklung bei Prime Brokerage Service, meint dazu:
“Dieser Schritt ist zeitlich gut gewählt, da jede Verzögerung das Wirtschaftswachstum und die Unternehmensentwicklung aufgrund hoher Kreditkosten bremsen könnte. Eine zu schnelle Senkung wäre jedoch riskant, da das Inflationsziel noch nicht erreicht ist.”
Natalia Pyrjewa, führende Analystin bei Zifra Broker, äußert sich
“Wir hatten mit einem deutlicheren Schritt gerechnet – einer Senkung um zwei Prozentpunkte. Wichtiger jedoch ist, dass der Spitzenzinssatz seinen Höhepunkt erreicht zu haben scheint und nun zu sinken beginnt. Dies deutet darauf hin, dass die gegenwärtige strenge Politik die Balance zwischen Inflation und Wirtschaftswachstum aufrechterhält, während die Kreditrisiken zu steigen beginnen. Eine übermäßige Strenge wäre daher nicht ratsam.”
Belenkaja erklärte weiterhin, dass die Zinssenkung zeigt, dass die Behörde ihre geldpolitische Ausrichtung an die abnehmende Inflation anpasst, ohne jedoch eine Serie weiterer Senkungen zu signalisieren.
Prognosen zum Zinssatz
Analysten sind sich uneinig, ob im kommenden Juli eine weitere Senkung erfolgt. Alexander Bachtin von Garda Capital vermutet
“Die Zentralbank bleibt vorsichtig und möchte das etablierte Marktgleichgewicht nicht stören, hat sich jedoch bereits für einen moderaten Ansatz entschieden. Wenn die makroökonomischen Daten es zulassen, könnte eine weitere Senkung in kleinen Schritten folgen.”
Auswirkungen auf Kredite, Einlagen und den Rubel
Die Senkung des Leitzinses wird wahrscheinlich zu günstigeren Kreditkonditionen und niedrigeren Einlagenzinsen führen. Laut Igor Dodonow von der Finam Financial Group,
“wird die Senkung um einen Prozentpunkt allein nicht drastisch wirken, trägt jedoch dazu bei, zukünftig niedrigere Zinssätze in der Wirtschaft zu fördern.”
Zudem dürfte die Senkung des Zinssatzes auf 20 Prozent keine starke Abschwächung des Rubels verursachen, prognostiziert Alexander Potawin von der Finam Financial Group. Er erwartet
“einen stabilen Wechselkurs des Rubels gegenüber dem US-Dollar, dem Euro und dem Yuan für den kommenden Monat.”
Übersetzt aus dem Russischen. Ursprünglich veröffentlicht am 9. Juni 2025 auf der Webseite der Zeitung Wsgljad.
Olga Samofalowa ist Wirtschaftsanalystin bei der Zeitung Wsgljad.
Mehr zum Thema: Die Krise der russischen Kohlebranche – Ursachen und Folgen