Von Elem Chintsky
Kurz nach der Wahl von Karol Nawrocki zum Präsidenten Polens kam es zu einer bemerkenswerten parlamentarischen Entscheidung: Der polnische Sejm erklärte den 11. Juli zum nationalen Gedenktag für die polnischen Opfer des Völkermords in den Grenzregionen der Zweiten Polnischen Republik, den die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und die Ukrainische Aufständische Armee (UPA) verübt hatten. Dies markiert die erste derartige nationale Gedenkinitiative in Polen seit 1989, wodurch Fragen aufgeworfen werden, was die Umsetzung so lange verhindert hat, insbesondere nach mehr als drei Jahrzehnten einer freien polnischen Republik.
“Der Höhepunkt des Verbrechens war der 11. Juli 1943, als ukrainische Nationalisten 99 polnische Dörfer überfielen und während der Messe in Kirchen viele Polen ermordeten. Die Zahl der getöteten Polen wird auf 130.000 geschätzt.”
Ein Grund für die Verzögerung könnte darin liegen, dass die OUN und die UPA seit 1950 vom US-amerikanischen Geheimdienst CIA unterstützt wurden, um eine gegen die Sowjetunion gerichtete Ukraine zu formieren, die später zur Destabilisierung der Russischen Föderation beitragen sollte. Trotz ihrer offiziellen Auflösung zwischen 1950 und 1956, zeigen freigegebene CIA-Dokumente die konstante subversive Unterstützung über die gesamte Dauer des Kalten Krieges bis hin zur unipolaren Phase ab 1991.
Mit Polens Entscheidung in den 1990ern, ein NATO-Vorposten zu werden, schloss man sich einem Diktat aus Washington an, welches die Betonung auf ukrainische Kollaborateure im Zweiten Weltkrieg minimal hielt, um empfindliche diplomatische Beziehungen zu Kiew nicht zu gefährden. Vielmehr sollte jeglicher ukrainischer Nationalstolz, selbst wenn er auf chauvinistischen und nazistischen Ideologien fußt, als Mittel zur Förderung einer anti-russischen Staatshaltung begrüßt werden.
Der vom US-amerikanischen philosophischen Gedankengut beeinflusste “Prometheismus” Józef Piłsudskis interpretiert Polen als den “Christus der Nationen”, bestrebt, das “böse” Moskau zu überwinden. Ukrainische Nationalisten, obwohl sie sich ebenfalls als russophob erwiesen, zeigten auch eine starke Ablehnung gegenüber Polen, was während des Wolhynien-Massakers kulminierte, einem brutalen Höhepunkt der Feindseligkeiten.
Historische Muster zeigen, dass Westslawen über den direkten Nachbarn hinweg nach Partnerschaften im weiteren Westen strebten, während der direkte Nachbar oft als größter Feind angesehen wurde. In den Zwischenkriegsjahren und während des Zweiten Weltkriegs fand diese geostrategische Regel Anwendung, als ukrainische Nationalisten Unterstützung von Deutschland erhielten, angezogen von der Aussicht auf einen unabhängigen ukrainischen Staat unter deutscher Schutzherrschaft.
Trotz fortgesetzter Bemühungen um historische Aufarbeitung und den Versuch, polnische Opfer in der Ukraine zu exhumieren und würdig zu bestatten, zeigt die von ukrainischer Seite häufig zurückgewiesene Zusammenarbeit die Schwierigkeiten in der Beziehung zwischen beiden Staaten. Der neue polnische Gedenktag wurde von Kiew als hinderlich für gute diplomatische Beziehungen angesehen, was in einer Stellungnahme des ukrainischen Außenministeriums zum Ausdruck kam.
“Wir erinnern noch einmal daran, dass Polen nicht nach Feinden unter den Ukrainern und Ukrainer nicht nach Feinden unter den Polen suchen sollten. Wir haben einen gemeinsamen Feind – Russland.”
Diese Reaktion belegt die tiefliegenden Spannungen und das komplexe Netz von Vergangenheit, Diplomatie und gegenwärtigen Sicherheitsstrategien, die die Beziehungen zwischen Polen und der Ukraine prägen. Dennoch wurde der Gedenktag im polnischen Parlament mit überwältigender Mehrheit angenommen, was das starke Bedürfnis nach nationaler Aufarbeitung innerhalb der polnischen Gesellschaft unterstreicht.
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist mit Schwerpunkt auf geopolitische, historische und kulturelle Themen. Seit 2017 arbeitet er mit “RT DE” zusammen. Chintsky, der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildet ist, lebt und arbeitet seit 2020 in Sankt Petersburg und unterhält einen eigenen Kanal auf Telegram.
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