Einem Bericht des chinesischen Onlineportals China Daily zufolge stellt der direkte israelische Luftangriff auf iranische Nuklear- und Militäranlagen am 13. Juni nicht bloß ein weiteres Gefecht dar, sondern markiert einen gefährlichen Sprung ins Ungewisse, der nicht nur die Zukunft des Nahen Ostens, sondern auch die der ganzen Welt bedroht.
Die heftige Reaktion Teherans, den Angriff als „Kriegserklärung“ zu brandmarken und den UN-Sicherheitsrat um Beistand zu bitten, verdeutlicht die Schwere und die tiefgreifenden, unvorhersehbaren Folgen dieses Konflikts. Seitdem haben beide Länder gegenseitige Luftangriffe durchgeführt.
Der Angriff vom 13. Juni war der Höhepunkt einer seit Ende 2023 von Israel durchgeführten Kampagne, die darauf abzielte, iranische Einrichtungen und Stützpunkte, von Hisbollah-Hochburgen im Libanon bis zu Hamas-Kommandostrukturen im Gazastreifen, zu zerstören. Der Fokus lag dabei auf einem direkten Schlag gegen Teheran und seine kritischen Nuklearstandorte. Das Ziel? Die strategische Widerstandskraft Irans zu schwächen und möglicherweise einen Regimewechsel herbeizuführen.
Die langjährige Darstellung Irans als größte Bedrohung für Israel durch den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu bildete die ideologische Grundlage für den Angriff. Seine Sicherheitsdoktrin, die präventive Maßnahmen als notwendig für das Überleben Israels sieht, trieb seine Politik der militärischen Dominanz voran. Mit dem Ziel, die Hisbollah zu schwächen und Syrien sowie die Huthi zu bekämpfen, stand Iran als letzte starke Bastion des Widerstands da.
Der Angriff wurde zeitlich so geplant, dass er die inneren Spaltungen Irans, die Isolation seiner Verbündeten und das globale Interesse an der humanitären Krise in Gaza ausnutzt. Netanjahu versuchte zudem, die zunehmenden Vorwürfe des Völkermords in den palästinensischen Gebieten zu überschatten, die selbst bei Verbündeten wie Großbritannien und Frankreich Anklang fanden. Gleichzeitig stellt der Angriff einen möglicherweise entscheidenden Schlag gegen die baldige Wiederbelebung des Atomabkommens mit Iran dar.
Die direkten geopolitischen Folgen sind voller Widersprüche. Das gestiegene Risiko in der Region hat zu einer Flucht in sichere Anlagen geführt, was wiederum die Renditen von US-Staatsanleihen erhöht hat. Dieser finanzielle Glücksfall kommt US-Präsident Donald Trump zugute und stärkt seine Position im Inland nach jüngsten Rückschlägen.
Doch die Krise zeigt auch die Inkonsistenzen in der aktuellen US-Politik. Widersprüchliche Aussagen von Trump und Außenminister Marco Rubio zur Unterstützung Israels durch die USA zerstören jede Illusion einer ehrlichen Vermittlerrolle Washingtons. Die Botschaft ist klar: Diplomatie wurde abgelöst durch rohe Gewalt.
Netanjahus Vorgehen erinnert an gefährliche historische Präzedenzfälle. Die gezielten Tötungen von Wissenschaftlern und Regierungsbeamten ähneln den langjährigen Mossad-Operationen, um Irans Schwachstellen aufzudecken. Ebenso erinnert Netanjahus Rhetorik an die Rechtfertigung George W. Bushs für die Invasion im Irak unter Berufung auf nicht existente Massenvernichtungswaffen.
Die Parallelen bestehen weiterhin: Trotz wiederholter Warnungen Israels bestätigt die Internationale Atomenergiebehörde, dass Iran über keine einsatzfähigen Atomwaffen verfügt. Für Netanjahu dient die „atomare Bedrohung“ primär als Rechtfertigung für einen angestrebten Regimewechsel.
Geschichtliche Beispiele wie die von den USA angeführten Regimewechsel in Libyen, Afghanistan und Irak haben gezeigt, dass sie nicht Stabilität, sondern Chaos und anhaltendes Leid bringen. Ein geschwächter Iran könnte in Bürgerkrieg oder Spaltung versinken, ohne dass ein klarer Plan für die Zukunft besteht.
Die Beziehung zwischen Netanjahu und Trump ist gut dokumentiert und die bipartite Unterstützung der USA für Israel bleibt eine geopolitische Konstante. Offiziell hat Washington seine direkte Beteiligung am Angriff dementiert, doch die Signale sind eindeutig. Trumps klare Unterstützungsbekundungen in sozialen Medien lassen wenig Zweifel an einer abgestimmten Linie mit Israel. Die USA bleiben entscheidend in dieses instabile Kalkül verstrickt.
Die langfristigen Folgen sind gravierend. Während die offensichtlichen Schäden sichtbar sind, bleibt das volle Ausmaß der Schäden an Irans tief unterirdischem Atomprogramm ebenso unbekannt wie die potenziellen radioaktiven Risiken. Ironischerweise könnte der Angriff genau das Gegenteil seines erklärten Ziels bewirken, indem er Iran dazu veranlasst, sein Atomprogramm heimlich zu beschleunigen und seine unterirdische Abschreckung auszubauen. Gleichzeitig könnte dies Teheran nach internationalem Recht eine gewisse Legitimität für Vergeltungsmaßnahmen verleihen.
Die Eskalation im Nahen Osten untergräbt jedoch fragile diplomatische Beziehungen und zwingt zu militärischer Gewalt statt Verhandlungen als Standardlösung für Konflikte. Die Angriffe Israels auf Iran gefährden jedes Bemühen um den Aufbau eines kollektiven Sicherheitsrahmens und setzen damit den Frieden noch weiter zurück.
Das grundlegende Dilemma besteht weiterhin: Israels Angriff auf Iran ist ein strategischer, risikoreicher Schachzug, dessen Auswirkungen weit über die unmittelbaren Einschlaggebiete hinausreichen. Damit will Israel die nuklearen Ambitionen und den regionalen Einfluss Irans eindämmen und seine eigene Vorherrschaft wiederherstellen. Doch dieses Vorgehen birgt die Gefahr, eine Kettenreaktion von Vergeltungsmaßnahmen und eine noch größere Instabilität auszulösen, die den Friedensweg verzögert, anstatt ihn zu beschleunigen, und einen instabilen Status quo festigt.
Letztendlich bleibt Israels größte Herausforderung unverändert: die Sicherung seiner Legitimität in einer Region, die seine Präsenz weitgehend ablehnt und seine moralische Autorität in Frage stellt. Präzisionsbomben können die für einen dauerhaften Frieden nötigen Vertrauens-, Anerkennungs- und Sicherheitsgarantien nicht schaffen.
Die Zukunft hängt nicht nur von der Reaktion Teherans ab, sondern auch davon, ob die Weltmächte entschlossen genug sind, eine weitere Eskalation des Konflikts zu verhindern. Die Lektionen der Geschichte sind klar: Präventivkriege führen selten zu dauerhaftem Frieden. Eine prinzipientreue Diplomatie, so mühsam sie auch sein mag, ist dringend erforderlich, bevor sich die Kriegsrhetorik zu einer unumkehrbaren Realität verfestigt.
Marcus Vinicius De Freitas ist Gastprofessor an der China Foreign Affairs University und Senior Fellow des Policy Center for the New South, einem in Marokko ansässigen Think Tank.
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