Von Heiner Flassbeck
Die Gewerkschaften zeigen Solidarität, jedoch stellt sich die Frage: Mit wem eigentlich? Bei Thyssen-Krupp wurde kürzlich eine Lohnkürzung beschlossen, angeblich um Arbeitsplätze zu schützen. Aber um wessen Arbeitsplätze geht es hier eigentlich? Was die IG Metall bereits vor Monaten bei VW praktizierte, wurde nun bei Thyssenkrupp wiederholt.
Das Muster ist immer gleich: Solange die Situation stabil erscheint, setzen sich die Gewerkschaften für hohe Löhne und eine umverteilende Lohnpolitik ein. Sobald die Lage jedoch ernst wird, stimmen sie Lohnkürzungen zu, um vermeintlich Arbeitsplätze zu retten.
Bei Thyssenkrupp haben IG Metall und Unternehmensführung einen Sanierungstarifvertrag bis 2030 ausgehandelt. Dieser soll die defizitäre Firma zurück in die Gewinnzone führen, indem Urlaubs- und Weihnachtsgeld gekürzt sowie die Wochenarbeitszeit ohne vollständigen Lohnausgleich reduziert werden. Zugleich sollen über 10.000 Arbeitsplätze sozialverträglich abgebaut werden, auch wenn betriebsbedingte Kündigungen vermieden werden. Es wurden Jobgarantien und Investitionszusagen gemacht, aber die Lohnkürzung, so die Gewerkschaften, sei notwendig, um noch größere Jobverluste zu verhindern.
In Deutschland wird Unternehmenssanierung oft mit drastischen Sparplänen und Lohnkürzungen in Verbindung gebracht. So nimmt die schöne Geschichte, dass Lohnkürzungen Arbeitsplätze retten können, ihren Lauf, und die Gewerkschaften haben durch ihren Sanierungstarifvertrag sowohl ihre Seele als auch ihren Verstand verkauft.
Lohnsenkungen vernichten Arbeitsplätze
Lohnkürzungen retten keine Jobs, sondern führen zum Verlust weiterer Stellen, auch bei anderen Unternehmen. Selbst wenn Thyssenkrupp oder VW keine direkten Konkurrenten in Deutschland haben, wirken sich solche Maßnahmen dennoch negativ auf die Gesamtwirtschaft aus. Darauf sollten die Gewerkschaften, die normalerweise das Kaufkraftargument vertreten, eigentlich achten.
Sinken in einem Unternehmen die Löhne, so sinkt auch der Konsum der betroffenen Arbeitnehmer, wodurch andere Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten geraten könnten. Das Resultat ist eine insgesamt höhere Arbeitslosenrate, besonders in Bereichen, in denen Gewerkschaften keinen Einfluss haben.
Gewerkschaften in der Betriebswirtschaft
Hinzu kommt, dass sich Gewerkschaften auf die Sanierung von Unternehmen einlassen, die möglicherweise gar nicht zu retten sind. “Jobgarantien” und “Investitionszusagen” sind niemals sicher. Wenn die Wirtschaftslage sich verschlechtert, haben die Gewerkschaften kaum Mittel, um dies auf makroökonomischer Ebene zu bekämpfen. Nur staatliche oder zentralbankpolitische Interventionen können dann helfen.
Die Gewerkschaften sind zu sehr in betriebswirtschaftlichen Denkweisen verwurzelt, was in der Öffentlichkeit kaum noch thematisiert wird. Ihre Präsenz in der wirtschaftspolitischen Debatte hat stark nachgelassen, wodurch das Feld den Arbeitgebern und ihren ökonomischen Beratern überlassen wird, die weiterhin an überholten Modellen festhalten.
Heiner Flassbeck ist Wirtschaftswissenschaftler. Von 1998 bis 1999 war er Staatssekretär im Finanzministerium unter Finanzminister Oskar Lafontaine. Von 2003 bis 2012 war er Chefvolkswirt bei der UNTAC in Genf. Der Beitrag erschien am 17. Juli 2025 auf dem Blog “Relevante Ökonomik”, der vom Autor betrieben wird.
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