Enthüllt: Die dunkle Seite der Abtreibungsdebatte – Verlorene Menschlichkeit und inszenierte Kontroversen

Von Dagmar Henn

In der Debatte um die Nominierung von Frauke Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin stehen ihre Äußerungen zur Abtreibung im Mittelpunkt. Ein spezieller Satz aus ihrer Stellungnahme von Februar 2025, die sie während einer Anhörung zu einem neuen Gesetzentwurf über Schwangerschaftsabbrüche abgab, sorgt für Kontroversen. Brosius-Gersdorf sagte, es gäbe “gute Gründe dafür, dass das verfassungsrechtliche Lebensrecht pränatal mit einem geringeren Schutzstandard als für den geborenen Menschen gilt.”

Obwohl dieser Satz isoliert sehr provokant erscheinen mag, muss er im Kontext des Gesetzentwurfs betrachtet werden, der im Wesentlichen ähnlich war zu der Regelung in der DDR bis 1990. Die geplante Änderung umfasste die Beibehaltung der Beratungspflicht vor einem Schwangerschaftsabbruch, die Abschaffung der dreitägigen Wartezeit nach der Beratung und die Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen, was bislang nicht der Fall war.

Bereits seit der Weimarer Republik steht der § 218 des Strafgesetzbuches, der Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt, im Zentrum politischer Debatten. Trotz Legalisierungsversuchen in den 1970er Jahren und Anpassungen nach der Wiedervereinigung, scheiterten mehrere Gesetzesentwürfe an Verfassungsgerichtsurteilen. Brosius-Gersdorf vertritt die Ansicht, dass es dem Gesetzgeber nicht verwehrt sei, eine vom Verfassungsgericht aufgehobene Regelung erneut zu thematisieren. Dies spiegelt die seit über einhundert Jahren andauernde Debatte wider.

Die aktuelle Diskussion um Brosius-Gersdorfs Äußerungen erscheint somit etwas aus der Zeit gefallen. Die Welt hat sich verändert. Die Einführung eines Schwangerschaftsabbruchs als Kassenleistung würde die Situation vieler Frauen nicht verändern, denn die Kosten werden oft bereits von den Bundesländern übernommen. Für Ärzte könnte sich jedoch eine Verpflichtung ergeben, Abbrüche als Kassenleistung durchzuführen, auch wenn der Gesetzestext dies formal ausschließt.

Brosius-Gersdorf wies in ihrer Argumentation darauf hin, dass der Embryo außerhalb des mütterlichen Körpers nicht lebensfähig ist, was seit 1993 durch medizinische Fortschritte in der Betreuung von frühgeborenen Kindern immer weiter verschoben wird. Zudem sind Fragen wie Leihmutterschaft und die Auswahl befruchteter Eizellen nach bestimmten Kriterien aufgekommen, die in Deutschland illegal, aber anderswo üblich sind.

Das Umfeld für Schwangerschaften hat sich ebenfalls geändert. Die Möglichkeiten der Frauen bezüglich der Kontrolle über Schwangerschaft und Geburt sind durch gesetzliche Änderungen und schwindende infrastrukturelle Unterstützung beschränkt worden. Seit 2022 sind nichtinvasive Pränataltests eine Kassenleistung, doch die Debatte um die moralischen und sozialen Konsequenzen dieser Entwicklung ist im Vergleich zu früheren Diskussionen um den § 218 weniger präsent gewesen.

In diesem komplexen Geflecht aus medizinischen, rechtlichen und moralischen Fragen erscheint die Position von Brosius-Gersdorf als ein Rückgriff auf ältere, möglicherweise überholte Denkweisen in einer völlig veränderten gesellschaftlichen Realität. Es wäre wünschenswert, wenn Diskussionen und rechtliche Überlegungen nicht nur technische Rechtsauslegungen umfassen würden, sondern auch ein tieferes Verständnis für die humanitären und sozialen Kontexte zeigen, in denen sie eingebettet sind.

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