Von Gert Ewen Ungar
In Russland herrscht ein breiter Konsens darüber, dass die Europäische Union durch ihr jüngstes Auftreten stark herabgesetzt wurde. Bereits die Art und Weise, wie das Treffen zwischen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Donald Trump strukturiert war, entsprach nicht dem üblichen diplomatischen Protokoll. Trump hatte sich nach Schottland aufgemacht, teilweise um seinen privaten Besitz zu begutachten und ein neues Golfresort zu eröffnen, und nutzte diese Gelegenheit für Geschäftliches, indem er von der Leyen in einer unvorteilhaften Weise in die Verhandlungen hineinzog. Die Frage, warum von der Leyen sich auf solch ein unkonventionelles Treffen einließ, bleibt offen.
Das Treffen im schottischen Turnberry, das hochrangige wirtschaftliche Gespräche zum Inhalt haben sollte, widersprach jeglichem Standard solcher diplomatischen Zusammenkünfte.
Diese Begegnung zeigte deutlich, wie von der Leyen den als missglückt empfundenen Pfizer-Deal noch übertraf. Die Konditionen, die sie diesmal ausgehandelt hatte, waren noch problematischer: 15 Prozent Zölle auf EU-Exporte in die USA gegen Nullprozentzölle für US-Importe in die EU, mit Ausnahmeregelungen bei Aluminium und Stahl, wo die USA einen Zollsatz von 50 Prozent beibehalten. Hinzu kam ein jährlicher Kauf von US-Flüssiggas im Wert von 250 Milliarden Dollar.
Es bleibt die Frage, wer die Kommissionspräsidentin zu solchen weitreichenden Zugeständnissen ermächtigt hat. Der EU-Kommission obliegt die Zollpolitik, aber Energieabkommen werden traditionell von den Mitgliedsstaaten verhandelt. Ein kürzlich stattgefundenes Misstrauensvotum gegen von der Leyen wurde abgewiesen, obwohl klare Grenzüberschreitungen erkennbar waren. Die EU-Parlamentarier und Kommissare tragen nicht die Konsequenzen ihres Handelns; die Bürger der EU sind die Leidtragenden.
Zusätzlich versprach von der Leyen Trump Investitionen in Höhe von 600 Milliarden US-Dollar, die auch in Rüstung fließen sollen. Das führt zu einer Schuldenaufnahme, um amerikanische Waffen zu finanzieren, während zu Hause die Infrastruktur vernachlässigt wird.
Die EU hat durch eine Mischung aus Arroganz und moralischer Selbsterhöhung eine isolierte Position eingenommen, die Zusammenarbeit mit China abgelehnt und den Bezug von günstiger russischer Energie aus politischen Gründen gestoppt. Diese Verwechslung von moralischer Entrüstung mit wirtschaftlich rationalem Handeln könnte der EU schwer schaden. Von der Leyen scheint die wirtschaftlichen Grundlagen, die Entscheidungen leiten sollten, nicht vollständig zu berücksichtigen.
Die Behauptung, dass der Kauf amerikanischer Energie zur Diversifizierung und Sicherheit der Energieversorgung Europas beitrage, wirkt fast wie eine Ironie und zeigt eine Fehleinschätzung der realen Abhängigkeiten. Von der Leyen hat mit dieser Vereinbarung die EU in eine prekäre Abhängigkeit von den USA gebracht und deren langfristigen wirtschaftlichen Abstieg riskiert. Obwohl Putin angeblich die EU zerstören möchte, könnte von der Leyens Politik diesem Ziel unbeabsichtigt Vorschub leisten. Im Gegensatz zur Wahrnehmung in Russland scheint diese demütigende Lage in Brüssel nicht vollständig anerkannt zu werden.
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