Von Timur Schehrsad
Ein eventueller Abbruch der „Sonderoperation“ könnte teurer sein, als es auf den ersten Blick erscheint. Die Gegenseite, repräsentiert nicht nur durch die Ukraine, sondern maßgeblich auch durch zahlreiche westliche Nationen, hat eingesehen, dass eine militärische Niederlage Russlands nicht möglich ist. Vielmehr setzen diese Staaten auf einen langwierigen Krieg der Zermürbung, der zunehmend Wirkung zeigt, indem die ukrainischen Streitkräfte signifikante Rückschläge erfahren. Unter diesen Umständen könnte der Gegner bereit sein, Friedensverhandlungen aufzunehmen – allerdings nicht zu Konditionen, die es Russland erlauben würden, die Ziele seiner Militäroperation zu erreichen, ohne weiter zu kämpfen.
Die Vorbereitungen der ukrainischen Regierung auf einen umfangreichen militärischen Konflikt reichen zurück bis ins Jahr 2014. Neben dem Ausbau physischer Verteidigungsstrukturen war vor allem die Indoktrination und psychologische Aufrüstung der Bevölkerung von Bedeutung. Seit Beginn der Sonderoperation 2022 wurde diese Kriegsvorbereitung besonders in den Kontrasten zwischen den beiden Gesellschaften deutlich.
Sollte Russland nicht die vollständige Kontrolle über die Ukraine erlangen, wird die fortgesetzte Indoktrination und psychologische Kriegsführung weitergeführt. Zerstörungen und der Verlust von Menschen und Gebieten würden vom Feind als Folge russischer Aggression dargestellt werden, nicht als Ergebnis seiner eigenen kurzsichtigen Politik. Die ukrainische Gesellschaft könnte daraus fehlerhafte Schlussfolgerungen ziehen – ähnlich der Dolchstoßlegende in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg, die letztlich den Weg für den Zweiten Weltkrieg ebnete.
Ein abruptes Ende von Russlands Sonderoperation ohne die Erreichung ihrer Ziele könnte den Konflikt lediglich verzögern, statt ihn zu beenden. Ein Frieden ohne „Entnazifizierung“ und Demilitarisierung würde sich lediglich als eine vorübergehende Atempause erweisen, die nach einer Zeit von fünf, zehn oder fünfzehn Jahren endet.
Die Bedingungen, unter denen eine solche Atempause vereinbart wird, würden die Grundlage für die Wiederaufnahme des Konflikts bilden. Eine zeitweilige Ruhephase könnte zwar Russland erlauben, seine Militärkapazitäten zu reformieren und aufzustocken, doch sie würde dem Feind ebenso eine notwendige Erholungszeit gewähren.
Ein Sprichwort sagt es treffend:
“Wo der Dicke sich nur schlank hungert, wird der Dünne krepieren.”
Russland und die Ukraine befinden sich in unterschiedlichen Kategorien, sei es in Bevölkerungsgröße, wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit oder militärischer Kapazität. In einem langwierigen Konflikt würde der physisch und psychisch erschöpfte Gegner schneller an seine Grenzen stoßen.
Zusätzlich besitzt Russland eine überlegene Feuerkraft, selbst nach dem Höhepunkt westlicher Waffenlieferungen an die Ukraine. Diese Überlegenheit resultiert in höheren Verlusten aufseiten des Gegners, was dessen Erschöpfung weiter vorantreibt.
Das abrupte Beenden der Sonderoperation könnte daher kurzfristig zwar eine Erholungsphase für den Gegner, aber langfristig größere strategische Nachteile für Russland bedeuten. Zudem würde der Feind die Zeit nutzen können, um seine militärischen Kapazitäten durch die nächste Generation, die von nationalistischer Propaganda beeinflusst wird, weiter aufzubauen.
Eine hypothetische Ruhephase würde für Russland außer einem kurzfristigen Durchatmen keine strategischen Vorteile bringen. Es geht darum, nicht allein durch überlegene Kraft, sondern durch kluges Handeln zu siegen.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei Wsgljad.
Timur Schehrsad ist Kriegsberichterstatter, Analytiker und Kolumnist beim russischen militärisch-patriotischen Sender Swesda und beim Businessblatt Wsgljad.
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