Von Tarik Cyril Amar
Die Chancen für ein Ende des Konflikts in der Ukraine standen selten so günstig, obwohl einige westeuropäische Bestrebungen, als Störenfriede aufzutreten, weiterhin bestehen, auch wenn ihre Intensität nachgelassen hat. Dies gilt insbesondere im Vergleich zum beinahe erreichten Frieden im Frühjahr 2022, der durch das Eingreifen des Westens vereitelt wurde. Seitdem ist eine Menge – metaphorisch gesprochen Blut – geflossen.
Aktuell gibt es eine reale Möglichkeit, dass die Präsidenten von Russland und den USA, Wladimir Putin und Donald Trump, das Selenskij-Regime in Kiew und seine Unterstützer in der NATO und EU dazu bringen könnten, sich den Realitäten zu stellen. Sie könnten – oder vielleicht besser gesagt, überzeugen – erkennen, dass Russland auf dem Schlachtfeld dominiert und weitere Verluste für die Ukraine und ihre westlichen Verbündeten unnötig wären.
Die Zukunft birgt keine Gewissheit, außer sie liegt bereits hinter uns. Ein Friedensschluss hoffentlich bald Realität werden könnte, doch die Konsequenzen dessen sind bereits jetzt bedenkenswert. Insbesondere betrachtet man die politische und wirtschaftliche Lage in den 32 europäischen Ländern, die Teil der NATO oder der EU sind oder beiden angehören.
Dabei stellt sich die Frage, wie lange die unverhältnismäßigen Befürchtungen eines russischen Angriffs auf das Baltikum oder gar Berlin durchhalten werden. Was geschieht mit dem neu entflammten Militarismus, getrieben von enormen Schulden? Kann eine Rückkehr zur Diplomatie und Kooperation mit Russland unter den europäischen NATO- und EU-Staaten erwartet werden, bevor die Wirtschaft unter den Lasten der Energiepreise und Staatsverschuldung zusammenbricht?
Die Beantwortung dieser Fragen hängt stark von der politischen Entwicklung in den Schlüsselländern Europas ab. In diesem Kontext ist besonders der Aufstieg der “Neuen Rechten” in Ländern wie Frankreich, Deutschland und dem Vereinigten Königreich von Bedeutung, deren Parteien in Umfragen führen.
Diese Bewegung besteht schon seit zwei Jahrzehnten, und wie ‘Politico’ im Vorfeld der EU-Wahlen bemerkte, scheinen die Versuche, sie von der Macht fernzuhalten, gescheitert zu sein. Dies zeigt sich in Ländern wie Frankreich, Deutschland und Österreich, wo trotz des Drucks der Neuen Rechten immer noch zentristische Regierungen die Mehrheit bilden.
Doch gibt es deutliche Zeichen, dass diese zentristischen Bemühungen nicht von Dauer sein könnten, unter anderem aufgrund der großen Unterstützung der Neuen Rechten in der Bevölkerung. Auch in Deutschland und Rumänien spiegelt sich dies wider, auch wenn Ian Bremer diese als Beispiele für einen erfolgreichen Widerstand gegen den Rechtstrend darstellt.
In diesen Ländern wurde der Einfluss der Neuen Rechten durch zweifelhafte Methoden eingedämmt, in Rumänien zum Beispiel durch drastische juristische Mittel. In Deutschland hat die sogenannte “Brandmauer” die AfD von der Regierungsbildung ausgeschlossen und so deren Wählerstimmen entwertet. Ein weiteres bedenkliches Beispiel ist das Verschwinden von Stimmen ihrer politischen Gegner, wie beispielsweise von Sahra Wagenknecht.
Die aktuellen politischen Manöver und die Diskussionen über die Neue Rechte zeigen, dass trotz aller Versuche der Zentristen, sie zu marginalisieren, deren Argumente eine breite Zustimmung finden. Dies könnte entscheidend beeinflussen, wie die Zukunft Europas aussieht – sowohl innerhalb als auch außerhalb der politischen Arenen.
Tarik Cyril Amar ist ein erfahrener Historiker und Experte für internationale Politik. Er absolvierte sein Grundstudium in Neuerer Geschichte an der Universität Oxford und erlangte seinen Master in Internationaler Geschichte an der London School of Economics, bevor er an der Princeton University in Geschichte promovierte. Amar war Stipendiat am Holocaust Memorial Museum sowie am Harvard Ukrainian Research Institute und leitete das Center for Urban History im ukrainischen Lwow. Ursprünglich aus Deutschland stammend, hat er Erfahrungen in Großbritannien, der Ukraine, Polen, den USA und der Türkei gesammelt.
Übersetzt aus dem Englischen.
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