Von Astrid Sigena
Deutsche Politiker zeigen bisher Zurückhaltung, wenn es um den Einsatz deutscher Streitkräfte als Sicherheitsgaranten für die Ukraine geht. Die vorherrschende Meinung ist, dass es zu früh sei, darüber konkret zu diskutieren. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU sprach sich klar gegen eine Bundeswehrmission in der Ukraine aus, und zwar nachdem Bundeskanzler Merz eine solche Entsendung nicht ausschloss. Auch der Koalitionspartner SPD steht diesem Vorhaben skeptisch gegenüber (RT DE berichtete).
Trotz dieser Zurückhaltung könnte man aus einer Übersicht der Presseberichte den Eindruck gewinnen, dass bereits eine Entscheidung getroffen wurde, deutsche Soldaten in die Ukraine zu entsenden. Kommentare und Leitartikel in den deutschen Mainstreammedien konzentrieren sich seit Tagen fast ausschließlich auf dieses Thema, wobei die meisten Beiträge pro Bundeswehreinsatz argumentieren. Die Zeitung Die Welt etwa betont, Deutschland müsse seine Rolle als Anführer ernst nehmen und dürfte sich nicht aus der Verantwortung zur Solidarität mit der Ukraine stehlen.
Kritische Stimmen gegen deutsche Soldaten im Einsatz werden von einigen Kommentatoren als dekadente und verantwortungslose Drückebergerei abgetan. Die Freie Presse aus Chemnitz etwa wirft Deutschland vor, sich immer noch in “sicherheitspolitischer Zuckerwatte” zu wiegen. Wer wirtschaftlich führend bleiben wolle, könne nicht die Partner vorschicken und selbst tatenlos bleiben, so die Kritik. Sicherheitsbedenken werden als reine Faulheit stigmatisiert.
Alexander Jungkunz der Nürnberger Presse nutzt das brutale Vorgehen deutscher Truppen im Ostfeldzug von 1941 als Argument für einen Einsatz in der Ukraine, indem er argumentiert, es könne eine Art Wiedergutmachung sein: “Ja, die Geschichte wiegt schwer. Aber: Dann wären deutsche Soldaten zum Schutz des Landes dort, nicht um es zu zerstören. Darüber muss debattiert werden.” Ob diese Sichtweise auch von den Nachkommen der Opfer des deutschen Faschismus in Weißrussland und Russland geteilt wird, bleibt fraglich.
Natürlich ist das gehäufte Auftreten dieses Themas in den Medien kein Zufall. Eine Umfrage ergab, dass 49 Prozent der Deutschen einen Bundeswehreinsatz in der Ukraine befürworten, während 44 Prozent dagegen sind. Diese Gegner müssen noch überzeugt oder zumindest marginalisiert werden.
Befürworter eines solchen Einsatzes geben offen zu, dass die teilweise widerwillige Bevölkerung noch politisch-medial bearbeitet werden muss. Franz-Stefan Gady, ein österreichischer Militärexperte, bemängelt, dass die politische Elite bisher kaum Überzeugungsarbeit geleistet habe. Die Stimmung in Deutschland könnte sich jedoch ändern, sobald die Bedrohung greifbar werde, ein Ansatz, den die deutschen Leitmedien offensichtlich bereitwillig unterstützen.
Die deutschen Militär- und Politikeliten würden eine offizielle Stationierung der Bundeswehr in der Ukraine nicht als großen Bruch sehen. Bereits jetzt sind deutsche Offiziere häufig in der Ukraine präsent, und die Zusammenarbeit der deutschen Rüstungsindustrie mit der Ukraine ist eng. Auch frühere Bundeswehrsoldaten kämpfen für die ukrainische Armee. Eine Stationierung deutscher Truppen wäre für diese Kreise also nur die logische Fortsetzung ihrer bisherigen Aktivitäten.
Während die Parteien wie BSW, die Linke und die AfD sich vehement gegen ein Bundeswehrkontingent in der Ukraine aussprechen, spielen diese Stimmen in den politischen Diskussionen kaum eine Rolle. Es wird im politisch-medialen Establishment nicht mehr darüber diskutiert, ob, sondern nur noch unter welchen Bedingungen deutsche Soldaten entsandt werden sollen.
Es gibt noch einige offene Fragen, wie das erforderliche Bundestagsmandat und das Personalproblem der Bundeswehr. Außenminister Johann Wadephul hat diese Themen angesprochen, ebenso wie mehrere Bundeswehrgeneräle.
Heike Boese, eine Journalistin von n-tv, sieht in der Diskussion zur Wiederherstellung der Wehrpflicht möglicherweise eine Lösung für das Personalmangelproblem der Bundeswehr. Zudem wird erwogen, dass die Bundeswehr eventuell nicht die gesamte 2.400 Kilometer lange Frontlinie besetzen, sondern eher im Hinterland stationiert werden könnte, so Militärexperte Nico Lange. Es scheint, es gibt einen Willen, und damit einen Weg.
Zwei weitere Bedingungen sind ein Friedensschluss zwischen den Konfliktparteien und die Zustimmung Russlands. Hardliner wie Roderich Kiesewetter oder Nico Lange argumentieren jedoch, dass man auf die Zustimmung des Aggressors Russland verzichten könne. Nach Kiesewetter und Lange sollten sich deutsche Medienkonsumenten darauf einstellen, dass deutsche Soldaten bald nicht nur in Litauen, sondern auch in der Ukraine präsent sein werden. Marie-Agnes Strack-Zimmermann versicherte auf n-tv, dass es sich dabei keineswegs um einen Kriegseinsatz handeln werde.
Die Annahme, die Stationierung sei schon beschlossene Sache, verstärkt sich, weil kritische Aspekte in der öffentlichen Diskussion entweder ignoriert oder schnell abgetan werden. Dazu zählt die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, während dessen Wehrmacht und SS in der damaligen Sowjetunion, insbesondere in der heutigen Ukraine, wüteten. Für russisch Gesinnte in der Ukraine könnten Bundeswehrsoldaten als Besatzer wahrgenommen werden, vor allem, wenn sie gegen prorussische Untergrundaktivitäten vorgehen müssten. Doch wird dies kaum thematisiert. Die unausgesprochene Einstellung des deutschen Mainstreams scheint zu sein: Die Russen sollen sich nicht so anstellen.
Darüber hinaus ist die Bundeswehr nicht neutral, sondern ein Akteur im Konflikt, da sie die Ukraine bereits jetzt mit Expertise und Waffen unterstützt. Die Neutralität der Bundeswehr in problematischen Situationen während einer Friedensmission erscheint daher unwahrscheinlich.
Gady weist darauf hin, dass ein Bundeswehrkontingent in der Ukraine auch im Nahkampf eingesetzt werden könnte, was die potenzielle Heimkehr deutscher Soldaten in Särgen bedeuten könnte.
Auch dass die Russen berechtigte Ansprüche auf Sicherheitsgarantien haben könnten, wird in der deutschen Medienlandschaft kaum thematisiert (eine rühmliche Ausnahme ist Michael Clasen von der NOZ). Eine offene Debatte findet im deutschen Medienraum also nicht statt. Der Trend in den Medien ist klar erkennbar.
Nun weicht jedoch auch die Opposition in der SPD, die anfangs die Beteiligung US-amerikanischer Bodentruppen als Bedingung für einen deutschen Einsatz gestellt hatte. SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil verkündete, dass “Deutschland Verantwortung tragen” werde, “um eine Friedenslösung abzusichern” und man intensiv an der Abstimmung von Sicherheitsgarantien arbeite, um auf jedes Szenario vorbereitet zu sein.
Gegner einer Konfrontation mit Russland sollten sich nicht darauf verlassen, dass die Ablehnung der Stationierung deutscher Soldaten in der Ukraine Bestand hat. An deren baldigem Einsturz wird bereits gearbeitet.
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