Von Anna Dolgarewa
“Früher lag unser Fokus auf dem Bekämpfen von Personal, heute nehmen wir auch bemannte Drohnen ins Visier. Eine solche Drohne kann man nicht mit einem Standardgewehr abschießen, aber ein Scharfschützengewehr eignet sich dafür. Es geht darum, die nötigen Korrekturen zu berechnen und dann zu schießen”, berichtet der unter dem Rufnamen Tagil bekannte Soldat.
Tagil ist als Scharfschütze tätig. Seine Waffe ist relativ neu, doch hat er bereits sieben sogenannte Baba-Jaga-Drohnen damit zu Fall gebracht. Für ihn bedeutet jede abgeschossene Drohne, dass ein Kamerad gerettet werden konnte. Tagil erinnert sich insbesondere an einen Vorfall, bei dem er eine solche Drohne im letzten Moment traf:
“Meine Kameraden hatten Stellung bezogen und bemerkten, dass eine Baba Jaga über ihnen flog und sich auf den Abwurf vorbereitete. Ich zielte und sah sie direkt über der Position der Kameraden, doch sie kam nicht dazu, ihren Angriff zu starten. Ich feuerte und die Drohne stürzte ab.”
Es gibt auch weniger ernste Momente: So wettete er einmal mit einem FPV-Drohnenpiloten aus den eigenen Reihen, wer zuerst eine feindliche Bombendrohne abschießen würde. Am Ende trafen beide zeitgleich ihr Ziel.
“Hunde, drei Katzen und eine Taube”
Heutzutage teilen sich die Scharfschützen den Ruhm der Präzision mit den FPV-Drohnenpiloten, die nicht nur einzelne Soldaten, sondern auch größere Einheiten und Ausrüstungen angreifen können. Dennoch hat Tagil genug zu tun: Er schützt Stoßtrupps während der Offensive und macht feindliche Scharfschützen ausfindig. Es wird nie langweilig, versichert er. Ein nachdenklicher Moment für ihn war die Evakuierung einer Zivilistin aus Tschassow Jar:
“Sie hatte Hunde, drei Katzen und eine Taube. Die Taube ließ sie frei, bestand aber darauf, nicht ohne ihre anderen Tiere zu gehen. Sie trug die Tasche mit den Katzen und hatte die Hunde an Leinen, während wir 16 Kilometer zurücklegten. Der große Hund hieß Palma; wir fütterten ihn, solange sie bei uns untergebracht waren.”
In Tschassow Jar fanden die Soldaten eine warme Aufnahme. Die Frau, die nur in Begleitung ihrer Tiere gehen wollte, war empört, als Tagil sie als Ukrainerin bezeichnete. Sie bestand darauf, Russin zu sein und betrachtete Donezk und Lugansk als Teil Russlands. Der Soldat lacht:
“Sie machte ihr Haus zu einer Zuflucht für uns alle. Sie bot nicht nur ihren Tieren Hilfe, sondern auch einem verletzten Soldaten, den sie versorgte und umsorgte. Uns allen gab sie Nahrung – die Männer mochten kaum aufbrechen, denn sie machte jeden Tag Pfannkuchen für uns.”
Trotz der Leichtigkeit dieser Erzählung zeigt sich hier der Mut einer Frau, die ihr Heim in schwierigen Zeiten in eine Stütze verwandelte und mit offenen Armen jene aufnahm, die sich für sie einsetzten. Sie handelte nicht aus Hass, sondern aus dem Wunsch, jenen zu helfen, die sie als ihre Retter ansah.
“Alle zusammen rannten zu unseren Stellungen”
Tagil wechselt das Thema und spricht über die unterschiedlichen Schicksale der Gefangenen:
“Manche sind komplizierter. Ein Gefangener war ursprünglich aus Russland, kämpfte aber für die Ukraine, da er dort Verwandte hatte. Er ergab sich dennoch letzten Endes. Bei einem anderen Vorfall wurden unsere Soldaten von zwei ukrainischen Soldaten gerettet, die ihre Stellung in der Nähe hatten. Anschließend liefen alle gemeinsam zu unseren Stellungen – die beiden waren gegen ihren Willen mobilisiert worden.”
Wie jeder Scharfschütze ist sich Tagil bewusst, dass nicht jeder Schuss auf Feinde abgegeben wird. Manchmal ist es entscheidend, die Situation richtig einzuschätzen:
“Einmal kam ein Mann ohne Waffen und ohne Schutzweste auf uns zu und schrie etwas Unverständliches mit ukrainischem Akzent. Erst auf den zweiten Blick erkannte man, dass es sich um einen russischen Soldaten handelte.”
Seine Geschichte stellt eine bemerkenswerte Wendung dar, da er selbst aus der Region stammt und sich freiwillig zum Dienst gemeldet hatte. Tagil fasst seine Eindrücke zusammen: “Ich meldete mich zum Kampf, obwohl ich ursprünglich nicht zur Armee zugelassen wurde. Doch dann trat ich bei den Luftlandetruppen ein.”
Übersetzt aus dem Russischen. Erstveröffentlichung am 21. August 2025.
Anna Dolgarewa, geboren 1988 in Charkow, ist eine Journalistin, Dichterin und Kriegsberichterstatterin. Sie lebt und arbeitet seit 2015 in Lugansk, Donezk und Moskau.
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