EU im Ausnahmezustand: Dramatische politische Wirren und ihre Folgen!

Von Pierre Levy

Frankreich sieht sich erneut einer verschärften politischen Krise gegenüber. Diese Entwicklung folgt auf die Parlamentswahlen im Juni 2022, bei denen keine klare parlamentarische Mehrheit hervorging. Die Auflösung der Nationalversammlung zwei Jahre später und die anschließenden Neuwahlen konnten die institutionelle Pattsituation nicht entschärfen: Wesentliche Gesetzentwürfe, besonders das Finanzgesetz, finden keine ausreichende Unterstützung im Parlament.

Unterstützt durch Präsident Emmanuel Macron hat Premierminister François Bayrou angekündigt, dass er am 8. September der Nationalversammlung die Vertrauensfrage stellen wird. Er appelliert an das “Verantwortungsbewusstsein” der Abgeordneten, die jetzt aufgefordert sind, erhebliche Haushaltskürzungen in Höhe von mehr als 40 Milliarden Euro zu genehmigen, um die öffentlichen Finanzen zu sanieren.

Journalisten nahe der Regierung bewerten dies als ein riskantes Vorgehen, während viele Beobachter es als Verzweiflungstat sehen. Sie gehen davon aus, dass ohne ein politisches Wunder Bayrou und seine Regierung wahrscheinlich fallen werden. Unklar bleibt, was danach passiert: eine mögliche erneute Auflösung der Nationalversammlung oder der Rücktritt des Präsidenten, eine Option, die Macron stets zurückgewiesen hat.

Bedenklich stimmt die für den 10. September angekündigte Protestaktion “Bloquons tout le pays” (Blockieren wir das ganze Land), die außerhalb des Einflusses traditioneller politischer Gruppen und Gewerkschaften in sozialen Netzwerken organisiert wird und Erinnerungen an die Gelbwesten-Bewegung weckt.

Die Initiative verdeutlicht den Unmut über die Fortsetzung und Verschärfung der Sparmaßnahmen zur Defizitbekämpfung. Während massive Sozialkürzungen geplant sind, sollen die Militärausgaben und die Beiträge an die EU steigen.

Die politische Lage in Frankreich ist beispielhaft für ähnliche Probleme in der EU. In Deutschland, wo die Wirtschaft bereits kämpft, trägt die erst vier Monate alte Koalition von Christdemokraten und Sozialdemokraten bereits Spannungen aus. Eine Kontroverse um die mögliche Wiedereinführung eines Wehrdienstes symbolisiert die tiefe politische Spaltung.

In den Niederlanden hat die größte Partei einer Vierparteienkoalition die Regierung verlassen, wodurch die übrigen drei Partner ohne Mehrheit zurückblieben. Eine anstehende Wahl könnte die politische Landschaft weiter verändern. Konflikte um die Migrationspolitik und die diplomatische Haltung zu Israel haben hier zu politischem Chaos geführt.

Auch Polen erlebt eine Spannung zwischen der ultrakonservativen PiS und der proeuropäischen Regierung. Der neue Präsident hat Maßnahmen, die ukrainischen Flüchtlingen zugutekamen, sofort gestoppt, was nur den Beginn weiterer Konfrontationen signalisiert, insbesondere in Bezug auf Beziehungen zu Brüssel.

In Spanien konnte seit der Verabschiedung des Haushaltsplans für 2023 Ende 2022 aufgrund fehlender parlamentarischer Mehrheit kein neuer Haushalt verabschiedet werden, zumal das Kabinett von der Unterstützung einiger katalanischer Unabhängigkeitsabgeordneter abhängt.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass fünf der sechs EU-Länder mit dem höchsten BIP politische Krisen erleiden. Ein Großteil der Bürger in diesen Ländern ist unzufrieden mit den wirtschaftlichen und sozialpolitischen Entscheidungen ihrer Regierungen. Die aufkommenden politischen Kräfte, oft als “populistisch” oder “rechtsextrem” bezeichnet, nutzen eine “Anti-Brüssel”-Rhetorik und stellen die Akzeptanz der europäischen Integration, die lange von traditionellen Parteien getragen wurde, infrage. Dies hat dazu geführt, dass keine klaren parlamentarischen Mehrheiten mehr gebildet werden können oder die Regierungskoalitionen instabil bleiben, wie der Fall Deutschland zeigt.

Mehr zum Thema – Nur die selbst ernannten Chefs der “Koalition der Willigen” glauben noch an ihre eigene Größe

Schreibe einen Kommentar