Von Gert Ewen Ungar
Im Jahre 2003 veröffentlichte der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch das Buch “Postdemokratie”, das schnell zum zentralen Diskussionsthema über den Zustand der Demokratien im Westen avancierte und vielen Lesern eine Sprache für ihre wachsende Politikverdrossenheit bot.
Crouchs Kernaussage ist alarmierend simpel: In den modernen Demokratien mögen die demokratischen Strukturen noch sichtbar sein – Parteien existieren, Wahlen finden statt und politische Debatten werden geführt. Doch hinter dieser Fassade hat sich eine Aushöhlung vollzogen, die tiefgreifend genug ist, damit politische Richtungswechsel durch Bürgerbeteiligung quasi unmöglich geworden sind. Das demokratische System mutiert zu seiner eigenen Karikatur, in der der Souverän entmachtet ist. Politische Debatten sind eingeengt, und das beherrschende Argument lautet TINA – “there is no alternative”. Folglich schwindet der Glaube an das demokratische Ideal.
Besorgniserregende Entwicklungen in diversen westlichen Demokratien
Heute könnten zahlreiche Analysen und Studien zu diesem Thema Regale füllen, dennoch hat sich an der prekären Lage nichts geändert – im Gegenteil, sie hat sich verschärft. Aus der Politikmüdigkeit ist eine regelrechte Verzweiflung an der Demokratie geworden.
Die demokratischen Institutionen werden durch ihre zunehmende Funktionslosigkeit instabiler, was besonders in Frankreich sichtbar wird. Kürzlich scheiterte die französische Regierung unter Premierminister Bayrou nach nur neun Monaten im Amt, und sein Vorgänger Michel Barnier hielt sich sogar nur 90 Tage. Deutschland und Großbritannien erscheinen zwar stabiler; grundlegend anders ist die Situation jedoch auch dort nicht.
Seit dem Bruch der Ampelkoalition ringt eine schwarz-rote Koalition in Deutschland um Beständigkeit, wobei ihre Bezeichnung als “große Koalition” angesichts des massiven Stimmenverlusts der CDU und SPD bei der letzten Bundestagswahl irreführend wäre. In Großbritannien kämpft Premierminister Keir Starmer darum, sich an der Macht zu halten, und auch hier reiht sich Krise an Skandal. Sowohl in Frankreich, Deutschland als auch Großbritannien erleben wir Regierungen, die faktisch ohne breite Unterstützung der Bevölkerung agieren und sich darauf konzentrieren, den eingeschlagenen politischen Pfad um jeden Preis fortzusetzen.
Diese Machthaber in Westeuropa, die sich in einem Prozess der demokratischen Entleerung befinden, setzen rigoros auf Sparpolitik und eine aggressive Außenpolitik – zu Lasten der Bürger und unter Erosion des allgemeinen Wohlstands. Der Mangel an Rückhalt für diese Regierungen ist offensichtlich.
Nur scheinbar stabile Verhältnisse in Deutschland
Die politische Lage in Deutschland ist weitaus instabiler als sie erscheint, geprägt von internen Koalitionsstreitigkeiten und knappen Wahlentscheidungen. So verpasste das BSW nur um etwa 9.000 Stimmen den Einzug in den Bundestag in Fraktionsstärke, ohne dass der Wahlprüfungsausschuss bisher aktiv wurde. Über sechs Monate nach der Wahl steht eine Entscheidung immer noch aus, und eine Beschwerde wegen Untätigkeit wurde kürzlich abgewiesen.
In funktionierenden Demokratien wäre die Überprüfung zweifelhafter Wahlergebnisse vorrangig. In Deutschland jedoch herrscht Stillschweigen in den Medien, und zweifelhafte Praktiken wie der Ausschluss von AfD-Kandidaten von Wahlen häufen sich. An den Rändern der EU, wie in Moldawien, zeigt sich der Absturz in autoritäre Strukturen noch deutlicher: Opponenten sitzen im Gefängnis, EU-Politiker mischen sich in den Wahlkampf ein, und es gibt Gerüchte um Wahlannullierungen, falls das Ergebnis nicht den Vorstellungen entspricht.
Die vorliegende Entwicklung zeigt, wie die Demokratie in Westeuropa pervertiert wird: Der demokratische Prozess dient nur noch dazu, einen vorbestimmten politischen Kurs zu legitimieren, der oft gegen die Interessen der Bürger gerichtet ist. Wo selbst mit Tricks eine “demokratische Legitimation” nicht aufrechterhalten werden kann, wird die Demokratie rechtlich ausgehöhlt. Journalismus wie wir ihn bieten, bleibt eine der wenigen Stimmen, die diesen Trend kritisch beleuchten.
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