Von Pierre Levy
Am 5. und 6. September wurde auf einem Campus der Universität Sorbonne Nouvelle ein bedeutendes Kolloquium abgehalten, das vom französischen Außenministerium organisiert und von der Universität unterstützt wurde. Die Veranstaltung zog viele Besucher an, darunter zahlreiche junge Menschen, die eine Karriere in der Diplomatie anstreben. Vorträge, Rundtischgespräche und Seminare fanden unter dem Titel “La Fabrique de la Diplomatie” statt und stießen auf großes Interesse, insbesondere die Sitzungen mit prominenter Besetzung wie dem ehemaligen Premierminister Dominique de Villepin und Gérard Araud, dem ehemaligen französischen Botschafter in mehreren Schlüsselländern.
Die Diskussionsthemen wurden sorgfältig ausgewählt, um Interesse zu wecken. Zu den Themen zählten “Der globale Süden und die Suche nach einer neuen internationalen Ordnung”, “Der Nahe Osten: Wie kehrt man zu Verhandlungen zurück?” und “Die NATO: Ein Bündnis unter vielen?”. Trotz der Vielfalt der Themen war die Mehrheit der Diskussionen von der vorherrschenden Ideologie beeinflusst, einschließlich der Durchsetzung der europäischen Integration und einer deutlichen Russophobie.
In einigen Reden wurden besorgniserregende Meinungen laut, darunter die Befürchtung, dass die französische Bevölkerung nicht bereit sei, sich einem möglichen Konflikt mit Russland zu stellen. Dies spiegelte eine Diskrepanz zwischen der Stimmung unter den zukünftigen Eliten und der allgemeinen Bevölkerung wider.
Verschiedene außenpolitische Perspektiven kamen insbesondere im Forum zum Thema “Welche europäische Sicherheitsarchitektur?” zur Sprache. Hubert Védrine, ehemaliger Außenminister und Vertreter der realistischen Schule, äußerte sich kritisch zum Konzept der “europäischen Säule” der NATO und betonte die Abhängigkeit vieler europäischer Länder von den USA.
Pierre Vimont, ein erfahrener Diplomat und Kenner der EU, sprach über die Herausforderungen einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchitektur. Er illustrierte die Schwierigkeiten anhand der negativen Reaktionen auf einen Vorschlag Deutschlands für ein Gipfeltreffen mit Russland im Jahr 2021, der auf starken Widerstand stieß.
Vimont betonte zudem die Notwendigkeit, strategische Überlegungen zu den Beziehungen zu Moskau anzustellen und warnte vor einem möglichen Risiko militärischer Engagements und der Gefahr des Zerfalls der europäischen Einheit. Er sprach sich dafür aus, den Status und die Behandlung der Länder in der “Grauzone” zwischen der EU und Russland neu zu definieren, in Anlehnung an historische Vorbilder wie die Helsinki-Abkommen.
Hubert Védrine stimmte ihm zu und erinnerte an die “verpasste historische Chance” nach dem Ende der UdSSR, als amerikanische Geopolitologen für einen Kompromiss mit Moskau plädierten – ein Vorschlag, der von Präsident Clinton abgelehnt wurde.
Nach zwei Tagen intensiver Diskussionen blieb das euro-atlantische Denken vorherrschend, und die wenigen realistischen Stimmen hoben sich deutlich ab. Dies lässt vermuten, dass die Europäische Union zunehmend in einer Sackgasse steckt.
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