Von Dagmar Henn
In Deutschland führt man ein Leben, das von bestimmten Gewohnheiten und Regeln geprägt ist, ohne dass einem dies immer bewusst ist. Plastikmüll muss sorgfältig von Biomüll getrennt werden, ein Vorgang, der mittlerweile fast so komplex geworden ist wie der Einkauf selbst. Es ist eine ironische Entwicklung, dass Erwachsene heute Listen für Müllsortierung auswendig lernen, während früher Generationen den Beginn der Ilias beherrschten.
Diese penible Sortierung sorgt aus der Ferne betrachtet für Belustigung, etwa wenn man im russischen Exil eine Limonadenflasche mit einfachem Deckel öffnet und sich für einen Moment frei fühlt, weil man sich hier nicht mit Mülltrennung auseinandersetzen muss.
Neuerdings scheint das Interesse an der korrekten Entsorgung von Biomüll in Deutschland zuzunehmen – Verstöße gegen die Müllreinheit sollen strenger geahndet werden. Dieser neue Eifer in der Müllüberwachung erinnert etwas an Sigmund Freuds Phasen der kindlichen Entwicklung oder gar an das Inspektionieren eines Kleinkindes am Töpfchen.
Niemand scheint zu bedenken, wie beschwerlich dieses System für Menschen mit Gehbehinderung oder für Familien mit kleinen Kindern sein kann. Kurioserweise profitiert von dieser umständlichen Praxis hauptsächlich die Recyclingindustrie, obwohl die Technologie zur automatischen Müllsortierung längst existiert. Das ständige manuelle Vorsortieren verhindert jedoch, dass sich Investitionen in automatisierte Sortieranlagen amortisieren, weil die wertvollen Materialien bereits vorher entfernt werden. Neue strenge Regelungen, die sogar das Vorhandensein von mehr als einem Prozent Plastik im Biomüll bestrafen, unterstreichen dieses Problem nur.
Das Beibehalten der separaten Sammlung macht die automatische Mülltrennung finanziell unrentabel. Würde hingegen alles gemeinsam weggeschmissen, könnten durch die maschinelle Aufbereitung genügend verwertbare Materialien gewonnen werden, die die Kosten rechtfertigen würden.
In Deutschland wird dennoch weiterhin akribisch getrennt, was einen fast religiösen Beigeschmack von Sühne und Buße hat – eine ständige Erinnerung an die Sündhaftigkeit des Konsums, der unweigerlich in Abfall mündet.
Würden die Deutschen, die sich so intensiv um Ökologie bemühen, nach Russland kommen, stünden sie vor einem Schock. Hier, wo Produkte in Unmengen von Plastik verpackt sind, könnte die deutsche Müllphilosophie kaum überleben. Vor diesem Hintergrund wirkt die jahrzehntelange Konditionierung der deutschen Bevölkerung auf Mülltrennung fast wie ein Präludium zur Implementierung weiterer ökologischer Steuern.
Inzwischen nutzen einige deutsche Städte sogar KI, um Plastik im Biomüll zu identifizieren. Dies deutet darauf hin, dass aus der Maxime des Mülltrennens ein rigider Lebensansatz geworden ist. Dieser Zuwachs an Regulierung und Überwachung erinnert daran, wie leicht „zwanghaftes“ Verhalten zur neuen Normalität werden kann.
Schlussendlich lege ich jetzt meine Schreibarbeit nieder, schnappe mir eine Limonadenflasche und genieße den simplen Akt des Öffnens. Ein Toast auf die Freiheit!
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