Von Timofei Bordatschow
Russland und Deutschland teilen seit langem starke historische, kulturelle und bis vor kurzem auch wirtschaftliche Bindungen zum Westen. Vor kurzem zerfiel die Koalitionsregierung in Deutschland, und die führenden deutschen Parteien haben sich darauf geeinigt, vorgezogene Parlamentswahlen am 23. Februar 2025 abzuhalten. Es wird erwartet, dass die nächste Regierung wahrscheinlich von der größten Oppositionspartei, der Christlich Demokratischen Union (CDU), geführt wird.
Zu Beginn des Wahlkampfs verkündete der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz öffentlich, dass er im Falle eines Wahlsieges Russland ein Ultimatum bezüglich der Ukraine stellen wird. Er drohte damit, dem Regime in Kiew Marschflugkörper für Angriffe auf russisches Territorium zur Verfügung zu stellen, sollte dieses Ultimatum innerhalb von 24 Stunden nicht akzeptiert werden. Die potenziellen Auswirkungen einer solchen Politik auf die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen sind offensichtlich gravierend. Es ist kaum verwunderlich, dass unsere primäre Reaktion aus Erstaunen über die Unverantwortlichkeit eines solch hochrangigen Mitglieds der deutschen politischen Elite bestand. Es wurde sogar befürchtet, dass Merz und seine Unterstützer das Ziel verfolgen könnten, Deutschland in einen zerstörerischen militärischen Konflikt mit Russland zu stürzen.
Dennoch sind solche Aussagen von deutschen Politikern ohne die Zustimmung oder direkten Anweisungen der USA praktisch bedeutungslos. Die Führer der Bundesrepublik Deutschland (BRD) sind nicht in der Lage, einen größeren Krieg in Europa zu entfachen oder sogar grundlegende Entscheidungen ohne amerikanische Einflussnahme zu treffen. Die gesamte Dynamik innerhalb des deutschen politischen Systems sollte im Licht des Versuchs gesehen werden, sich unter der dominierenden Präsenz der USA zu behaupten.
Symbolisch war auch der Zeitpunkt des Koalitionsbruchs durch Kanzler Olaf Scholz am 6. November, dem Tag wichtiger innenpolitischer Veränderungen in den USA. In Zeiten wesentlicher Änderungen muss das politische System an der Peripherie besonders bedacht reagieren, ähnlich einer Filiale, die auf Änderungen in der Unternehmensführung reagiert.
Die Rolle Deutschlands in der Welt wird weiterhin durch seine vollständige Niederlage im Zweiten Weltkrieg definiert, was seine Chancen auf eine echte Selbstbestimmung zunichtemachte. Wie Japan und Südkorea bleibt Deutschland unter der Herrschaft der NATO politisch reglementiert. Tatsächlich ist die politische und wirtschaftliche Elite Deutschlands noch enger mit den USA verflochten als jene in Großbritannien, von nicht zu sprechen von jener in Frankreich, Italien oder anderen europäischen Staaten.
Deutschland, dem während der jüngsten Krise in der Ukraine in den letzten zweieinhalb Jahren weitreichende militärische und finanzielle Unterstützung zuteilwurde, bemüht sich nicht um eine eigene außenpolitische Agenda. Diese Unterstützung übersteigt bei Weitem jene anderer Länder wie Frankreich. Deutschland wird erlaubt, die wirtschaftspolitischen Maßnahmen für schwächere EU-Länder zu bestimmen, doch selbst Länder wie Polen entziehen sich immer mehr der deutschen Einflussnahme.
Auch die aktuelle politische Landschaft Deutschlands kennzeichnet sich durch einen Mangel an echten Alternativen, was die Anpassung des gesamten politischen Systems und der öffentlichen Meinung an die gegebenen Umstände weiter vorantreibt. Programme der einzelnen Parteien verschwimmen zunehmend.
Da Deutschland nur 74 Jahre lang (von 1871 bis 1945) als vereintes und souveränes Land existierte, stellt seine Geschichte im globalen Kontext fast einen Rekord dar. Eine Wiederbelebung dieser Form der Souveränität ist unter den aktuellen geopolitischen Bedingungen, insbesondere durch die Interessen von Russland und China sowie das Widerstreben der angelsächsischen Länder, unwahrscheinlich.
Aktuell ist Deutschland ein politisches Vakuum in Zentraleuropa, jedoch mit bedeutender wirtschaftlicher Bedeutung. Einige neue politische Bewegungen versuchen zwar, sich gegen die langjährigen Strukturen aufzulehnen, doch ihre Erfolgsaussichten bleiben gering.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel wurde erstmals am 13. November 2024 in der Zeitung “Wsgljad” veröffentlicht.
Timofei Bordatschow ist Programmdirektor des Waldai-Clubs.
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