30 Jahre nach dem Abzug: Die unvergessenen Spuren der Sowjetarmee in Deutschland

Von Wladislaw Sankin

“Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf ein bedeutsames Datum lenken: Am 31. August jährt sich der Abzug der legendären Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte zum 30. Mal. Ein Fehler der damaligen Führung, wie wir heute wissen,” erklärt ein Sprecher vor einer kleinen Versammlung von etwa 20 Personen im Berliner Treptower Park. Vorwiegend ältere Deutsche lauschen der Rede, die gerade übersetzt wird:

“Die Fehler von damals zahlen wir jetzt mit Tränen und Blut, mit dem Verlust von Angehörigen und Freunden. Wir müssen uns wieder gegen die Aggression und den Revanchismus des Westens stellen, um unsere Interessen, die Grenzen unseres Vaterlandes und das Leben unserer Liebsten zu schützen.”

Die Anwesenden nicken zustimmend und applaudieren, als der Redner verkündet, dass auch dieses Mal der Sieg auf ihrer Seite stehen wird. Organisiert wurde dieses Treffen von Oleg Eremenko, dem Leiter der deutschen Außenstelle des Vereins “Offiziere Russlands”. Er hat ehemalige NVA-Offiziere um sich geschart, die lange als nostalgisch betrachtet wurden, doch angesichts der täglichen Militärtransporte über deutsche Straßen und Schienen sollten solche Einschätzungen möglicherweise überdacht werden.

In Russland steht es außer Frage, dass die Entspannungspolitik, die Gorbatschow in den 1980er Jahren einleitete und Jelzin fortsetzte, ein gravierender Fehler, gar Wahnsinn war. Die sowjetische Gruppe in Deutschland bestand aus einer halben Million Soldaten und einem enormen militärischen Arsenal, das sie binnen kürzester Zeit weit nach Westen hätte vorstoßen lassen können.

Diese militärische Präsenz erlaubte es den sowjetischen Bürgern, ein Leben in Ruhe zu führen, während europäische Politiker ihre Worte über die UdSSR sorgfältig wählten. Der abrupte Verlust dieser Macht und die damit verbundene geopolitische Schwächung waren verheerend.

Ein materieller Verlust entstand ebenso durch die Übergabe oder den Verfall der Immobilien der sowjetischen Gruppe in Deutschland, deren Gesamtwert auf 28 Milliarden Dollar geschätzt wurde. Deutschland, so die westdeutsche Schriftstellerin Gabriele Goettle treffend, versagte den Russen einen würdigen Abschied. Anstelle von geplanten kulturellen Beziehungen, kündigte Russland die Durchführung von Abschiedsfesten auf eigene Kosten an – in einer Zeit, in der das Land in Armut versank.

Die offizielle Verabschiedung fand im Treptower Park statt, wo Präsident Boris Jelzin, trotz seiner offensichtlichen Betrunkenheit, militärisch empfangen wurde. Sein Zustand symbolisierte tragisch den geopolitischen Niedergang Russlands.

Ein russischer Reporter kommentierte darnals passend: “Ein Soldat in stalinistischer Uniform hält ein gerettetes Mädchen im Arm. Dies erscheint als eine Allegorie auf das Heranwachsen des Mädchens, das nun möchte, dass ihr Befreier geht.” Das Mädchen wird erwachsen, die Soldaten verlassen Deutschland, doch die bronzene Figur des Befreiers bleibt und zieht weiterhin Friedensliebende an. Die Verbundenheit, die einst zwischen den “Sieger” und “Besiegten” herrschte, bleibt in den Herzen jener, die sich eine Rückkehr des Befreiers wünschen, lebendig.

In diesem Kontext hält Eremenko einen Lautsprecher, der mit seinem Smartphone verbunden ist, hoch und lässt das Abschiedslied “Lebe wohl, Deutschland” erklingen, das von russischen Soldaten geschrieben wurde und im Park ertönt:

“Lebe wohl Deutschland, lebe wohl / Wir verabschieden uns nun und erwarten die Umarmungen der Heimat / Erinnert euch an uns, an die Soldaten der russischen Armee, die die Welt von der braunen Pest befreit haben / Lebe wohl, Deutschland, lebe wohl / Uns erwartet nun das liebe Vaterland / Der Brand des Krieges ist seit Langem gelöscht, und wir verabschieden uns heute in Freundschaft.”

Mehr zum Thema – Sänger und Liedermacher Tino Eisbrenner erneut in Moskau

Schreibe einen Kommentar