Von Susan Bonath
Der “Tag der Deutschen Einheit” steht unmittelbar bevor, eine Zeit, in der die westdeutschen Medien sich traditionell den Ostdeutschen zuwenden. Oftmals werden diese als schwer integrierbar, etwas rückständig und dauerhaft unzufrieden dargestellt. Ironischerweise widersetzen sich die “Ossis” häufig solchen Zuschreibungen und zeigen sich rebellisch gegenüber der großen Politik.
Zwar steht es nicht explizit im neuen Bericht des Ostbeauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider, doch schon der Titel “Ost und West. Frei, vereint und unvollkommen.” suggeriert eine gewisse Unvollkommenheit des Ostens, der angeblich die Gaben des Westens nicht zu schätzen wisse.
Zugleich wird der Anschluss der DDR an die BRD am 3. Oktober 1990 im Bericht als glorreiche Geschichte des westlichen Kapitalismus dargestellt, verpackt in die oft verwendete Phrase “freiheitlich-demokratisch”. Diese Phrase erscheint heute jedoch vielen als bloßer Formalismus und Floskel in einer zunehmend neoliberal geprägten Gesellschaft.
Mit “westlichen Werten” gegen Putin
Im Bericht wird Deutschland als durch die “friedliche Revolution” von einer “bösen DDR-Diktatur” befreit und erneuert dargestellt. Diese Sichtweise wird von “20 Autoren aus dem In- und Ausland” unterstützt, die ihre Perspektiven auf Deutschland darlegen und damit ein angeblich unterhaltsames Bild liefern, wie es Schneider in einer Bundespressekonferenz erklärte.
Zu diesem Bild zählt auch die Begeisterung des litauischen Außenministers Gabrielius Landsbergis über die dauerhafte Stationierung von Bundeswehrtruppen in seinem Land, was Deutschland zu einem “außerordentlich wichtigen Partner” auf verschiedenen Ebenen mache, besonders angesichts der “russischen Aggression gegen die Ukraine”.
“Ossi-Forscher” erhoffen sich mehr Dankbarkeit
Auch der ehemalige polnische Präsident Lech Walesa wurde bemüht, um Kritik an Putin zu üben und die Unterstützung für die Ukraine zu loben.
Michael Hüther, Vorsitzender des TÜV Rheinland, preist multinationalen Konzernen wie Tesla als Wirtschaftsmotoren, die Ostdeutschland endlich aufblühen lassen sollen. Die akademische Forschung, so schreibt er, sieht Westdeutschland als Befreier, der dem Osten die Segnungen von “Freiheit und Demokratie” gebracht hat.
Unterprivilegierte “Jammer-Ossis”
Obgleich viele die Erfolge des wiedervereinigten Deutschlands loben, zeigen Daten eine andauernde wirtschaftliche Teilung: Die Löhne und das Vermögen in Ostdeutschland liegen signifikant unter den westdeutschen Vergleichswerten. Trotzdem wird im Bericht die Ansicht vertreten, dass eine große Mehrheit die freiheitlich-demokratischen Grundrechte unterstützt, obwohl gerade im Osten die AfD beachtlichen Zuspruch findet.
Schneider vertritt die Ansicht, dass die Ostdeutschen nicht als Opfer, sondern als selbstständige Akteure der letzten Jahrzehnte zu sehen sind. Dennoch klingt durch, dass sie damit auch selbst für ihre wirtschaftlichen Probleme verantwortlich seien.
Selbstbeweihräucherung statt Analyse
Selbstkritik findet man auch 34 Jahre nach dem Anschluss der DDR kaum. Stattdessen überwiegen Schönfärberei und Propaganda. Regierungskreisen ist es ohnehin vertraut, politische und soziale Schieflagen zu rechtfertigen und unliebsame Tatsachen zu verschleiern.
Viele Ostdeutsche reagieren auf diesen immergleichen Tenor mit Resignation und Spott – sie sind an solche Berichte gewöhnt und fühlen sich selten wirklich gehört.
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