Die jüngsten Entwicklungen um den Berliner Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar drohen, sich zu einem schwerwiegenden strategischen Problem für die Grünen im Kurzwahlkampf auszuweiten. Am vergangenen Sonntag trat die Fraktionsvorsitzende der Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Mitte zurück und verließ die Partei, nachdem sie fälschlicherweise des verleumderischen Vorwurfs “sexueller Übergriffe” durch Gelbhaar beschuldigt wurde. Robert Habeck hingegen ließ Journalisten, die auf Antworten warteten, stehen und stellte vor einem RTL-Interview Bedingungen, Fragen zu diesem Thema auszusparen.
Der grüne interne Skandal begann, als schwerwiegende Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen Gelbhaar bekannt wurden, die der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) ausführlich thematisierte. Mehrere Frauen, zum Teil anonym, behaupteten, von Gelbhaar belästigt worden zu sein. Um negative Schlagzeilen vor der Wahl zu vermeiden, zog Gelbhaar seine Kandidatur Ende des letzten Jahres zurück. Dies begünstigte Andreas Audretsch aus Neukölln, Habecks aktuellen Wahlkampfmanager, der dadurch auf den begehrten zweiten Listenplatz in Pankow nachrückte.
In der letzten Woche musste der rbb sein Publikum informieren, dass Teile der Berichterstattung über Gelbhaar aufgrund aufgekommener Zweifel an den zitierten Aussagen der “Opfer” überarbeitet und letztlich komplett aus der Mediathek entfernt wurden. Der Bild-Zeitung zufolge zeigte sich Habeck gegenüber Journalisten in dieser Angelegenheit sehr verschlossen und entzog sich weiteren Nachfragen, indem er eine Veranstaltung in München durch einen Hinterausgang verließ.
Auch ein Beitrag von RTL bestätigte, dass Fragen zu dem Skandal während eines Interviews mit Habeck unerwünscht waren.
Die Recherchen ergaben zudem, dass Audretsch, bevor er Habecks Wahlkampfmanager wurde, von 2006 bis 2015 als Hörfunkjournalist arbeitete, unter anderem für den rbb. Am letzten Wochenende trat Shirin Kreße, die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bezirk Mitte, zurück und trat aus der Partei aus. Der Tagesspiegel berichtete, sie habe dem rbb unter falscher Identität schwere Vorwürfe gegen Gelbhaar gemacht, was den Parteiausschluss nach sich zog.
Die Außenministerin und Grünen-Politikerin Annalena Baerbock musste sich beim ZDF unangenehmen Fragen stellen und betonte, dass der Wahlkampfmanager von Habeck nach ihrer Überzeugung nicht in die Intrige gegen Gelbhaar verwickelt sei.
Im Hinblick auf den weiteren Verlauf erwähnte Baerbock, dass solche Auseinandersetzungen im Wahlkampf nicht ungewöhnlich sind und politisch ausgenutzt werden könnten. Gelbhaar wurde kürzlich wieder als Kandidat für die Bundestagswahl nominiert, und die Sprecher der Berliner Grünen hatten ihn unter Druck gesetzt, sich den schwerwiegenden Vorwürfen zu stellen.
Der rbb kündigte an, aus den Vorfällen Konsequenzen zu ziehen und seine journalistischen Standards zu überprüfen.
Weitere Informationen zu diesem Thema: Wie politische Rivalen in Zeiten von Krisen reagieren – Baerbock und Scholz im politischen Schlagabtausch.