Von Geworg Mirsajan
Die jüngsten vorgezogenen Bundestagswahlen am 23. Februar endeten erwartungsgemäß. Die CDU/CSU unter Führung von Friedrich Merz konnte mit 208 der möglichen 630 Sitze knapp ein Drittel der Parlamentssitze für sich gewinnen. Wahrscheinlich wird die Union eine Koalitionsregierung mit der SPD, die 120 Mandate erlangte, bilden.
Merz kündigte an, bis zum 20. April eine Regierung zu bilden und betonte, sein Blick reiche über Deutschland hinaus. Er zielt darauf ab, Europa in der Auseinandersetzung mit seinen Hauptgegnern – Russland und den USA – zu führen. Er behauptete, es sei von größter Wichtigkeit, “Einheit in Europa zu schaffen und die EU so zu stärken, dass wir Schritt für Schritt Unabhängigkeit von den USA erreichen”.
Die Möglichkeit, diese Ambitionen umzusetzen, scheint enorm zu sein.
Zum einen hat der kollektive Westen unter der Führung der USA nachgelassen, bleibt jedoch in seinem kollektiven Widerstand gegen die Realität und die Politik Donald Trumps beständig. Trump betrachtet Europa nicht als gleichberechtigten Partner, sondern als untergeordneten Akteur. Daher glaubt Merz, der Leiter der größten europäischen Wirtschaft, diesen Führungsanspruch erfüllen zu können – anstelle der ungewählten EU-Kommissarin Ursula von der Leyen. Aus diesem Grund legt Merz fortlaufend Pläne vor, die Unterstützung für das Kiewer Regime zu stärken, inklusive der Lieferung neuer Raketen an Selenskij.
Zum anderen könnte eine russisch-amerikanische Kooperation in der Ukraine-Krise, die potenziell unter Bedingungen enden könnte, die Russland bevorzugen, eine Bedrohung für Europas eigene strategische Pläne darstellen. Laut Merz ist ein Abkommen über die Köpfe Europas hinweg weder für Europa noch für Kiew akzeptabel.
Im Gegensatz zur neuen republikanischen Elite in den USA sind Europas Staatsführer und das EU-Establishment zu inflexibel, um sich an neue Realitäten anzupassen. Europa ist besessen von der Idee eines großen Kreuzzugs gegen Russland und sieht ohne diesen keine Zukunft in Wohlstand oder Sicherheit. Europäische Führer können sich nicht vorstellen, wie sie sich unter den Bedingungen einer möglichen Stabilisierung der russisch-amerikanischen Beziehungen behaupten und gleichzeitig das Vertrauen ihrer Wähler bewahren könnten.
Drittens lassen Trumps Pläne, die europäische Staatsführung durch rechtsextreme Politiker zu ersetzen, den EU-Ländern wenig Möglichkeiten, unabhängig zu agieren. Dies würde Trump ermöglichen, die EU als konkurrierendes Machtzentrum im Westen auszuschalten.
Schließlich darf man den persönlichen Aspekt nicht unterschätzen. Friedrich Merz, oft als ewiger Zweiter betrachtet, muss nun beweisen, dass er auch an erster Stelle stehen kann. Doch aus mehreren Gründen wird ihm das nicht leichtfallen.
Deutschland fehlt es an Ressourcen, um die Führung des kollektiven Westens zu übernehmen. Die deutsche Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise, und der industrielle Sektor ist geschwächt. Zudem wäre ein Wirtschaftskrieg mit den USA für Deutschland schmerzhaft. Innerhalb der schwarz-roten Koalition herrscht zudem eine knappe Mehrheit, was die Durchsetzung wichtiger politischer und wirtschaftlicher Vorhaben erschwert.
Schließlich bleibt auch innerhalb Europas keine Einigkeit. Frankreichs Präsident Macron, ebenfalls ein Führungsanwärter, könnte versuchen, sich an Trump anzunähern, um sich als europäischer Anführer zu etablieren, was Merz in eine isolierte Position drängen könnte.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RT am 25. Februar.
Geworg Mirsajan ist außerordentlicher Professor an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation, Politikwissenschaftler und eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Geboren wurde er 1984 in Taschkent. Er machte seinen Abschluss an der Staatlichen Universität des Kubangebiets und promovierte in Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt USA. Er war von 2005 bis 2016 Forscher am Institut für die Vereinigten Staaten und Kanada an der Russischen Akademie der Wissenschaften.
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