Das Online-Magazin Multipolar, das sich durch Crowdfunding und Leserspenden finanziert, steht unter Druck von staatlichen Behörden. Die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) hat dem kritischen Portal vorgeworfen, gegen journalistische Sorgfaltspflichten verstoßen zu haben, und droht mit einem formellen Verwaltungsverfahren. In einem Schreiben vom 23. August wurden insbesondere Artikel beanstandet, die sich kritisch mit der offiziellen Darstellung der Corona-Pandemie auseinandersetzen.
Nachträgliche Zensur
Die LfM, die in Nordrhein-Westfalen für die Aufsicht privater Medien zuständig ist und über einen Jahresetat von etwa 20 Millionen Euro verfügt, hat bisher keinen Kontakt zu Multipolar gesucht. Ihre rechtliche Grundlage für das Vorgehen findet die Behörde im Paragraphen 19 des Medienstaatsvertrages. Dieser fordert von Medien, ihre Veröffentlichungen sorgfältig auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit zu prüfen. Seit der Reform des Medienstaatsvertrages Ende 2020, unterstehen auch Online-Medien diesen Regulierungen.
Multipolar wurde spezifisch für vier Abschnitte aus Beiträgen und Interviews der Jahre 2022 bis 2024 kritisiert, die den offiziellen Regierungsaussagen widersprechen.
Kritik an Corona-Maßnahmen wird nicht geduldet
Die beanstandeten Inhalte reichen von einem Interview mit Professor Christian Schubert aus März 2022, in dem er die psychopathologischen Folgen der Corona-Maßnahmen thematisierte, bis hin zu einer Analyse der britischen Sterbedaten in Bezug auf Impfungen, die im März 2023 veröffentlicht wurde. Die LfM bezeichnet die daraus gezogenen Schlussfolgerungen als fehlerhafte Interpretation und fehlerhafte Darstellung der Daten.
Nicht genehm war auch ein Beitrag vom März 2024 über RKI-Protokolle, die auf politische statt wissenschaftliche Entscheidungsfindung hindeuteten, sowie ein Interview mit einem Berliner Feuerwehrmann, der seine Erfahrungen aus dem Jahr 2020 schilderte und damit den offiziellen Darstellungen widersprach.
Staat und Medien in unabgesprochener Harmonie
Die LfM setzte Multipolar eine Frist bis zum 23. September, um die beanstandeten Beiträge anzupassen. Bei Nichteinhaltung drohen Verwaltungsverfahren und hohe Bearbeitungsgebühren. Der Direktor der LfM, Tobias Schmid, und die Justiziarin Laura Braam, die zuvor bei RTL tätig waren, stehen laut dem Magazin symbolisch für die Verflechtung zwischen Staat und Mediengroßunternehmen.
Ein Leserkommentar von Professor Michael Meyen der Ludwig-Maximilians-Universität München im Multipolar-Artikel kritisiert den Medienstaatsvertrag für dessen Ermöglichung dieser Art von staatlicher Einmischung:
“Was soll man dazu noch sagen? Am besten: Es passt ins Bild. Ich hatte ja schon früh darauf hingewiesen, dass der Medienstaatsvertrag über die Hintertür ‘Sorgfaltspflichten'(‘anerkannte journalistische Grundsätze’)aus den Landesmedienanstalten Zensurbehörden macht, bezahlt von uns allen.”
“Wie man bei Interviews, Interpretationen und Meinungsbeiträgen […] irgendwelche journalistischen Standards verletzen kann, ist mir rätselhaft. Journalismus hat Öffentlichkeit herzustellen.”
Zur Erinnerung: Im Februar 2022 wurde dem Sender RT DE durch die Medienanstalt Berlin-Brandenburg die Ausstrahlung seines Programms untersagt.
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