Von Dagmar Henn
Am 6. Mai 2025 jährt sich die Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in der NATO zum siebzigsten Mal. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erinnerte kürzlich in Brüssel an dieses Jubiläum und betonte, Deutschland sei bereits seit sieben Jahrzehnten Teil des Bündnisses. Steinmeier hat offensichtlich eine eigene Interpretation der Geschichte, was kaum überrascht, da er bereits in der Vergangenheit ähnliche Schwierigkeiten damit hatte.
Steinmeier äußerte in seiner Rede: “‘Dankbarkeit’ erfasst nicht einmal im Ansatz, was es für Deutschland bedeutet, unter den Schutz des Artikel 5 gestellt zu werden und wieder aufrüsten zu dürfen.” Diese Aussage zeigt eine erstaunliche Missachtung historischer Fakten, wie etwa die Haltung von Gustav Heinemann, dem ersten SPD-Bundespräsidenten, der aus Protest gegen Adenauers Drängen zur Wiederbewaffnung zurücktrat.
In der Tat bot die Sowjetunion nach dem Krieg an, ihre Besatzungstruppen zurückzuziehen und Deutschland einen Friedensvertrag anzubieten, der vollständige Souveränität im Austausch für Neutralität versprach. Doch die Westmächte, angeführt von den USA, hatten bereits begonnen, führende Nazis für ihre eigenen Zwecke gegen die Sowjetunion zu rekrutieren. Die Aufnahme Westdeutschlands in die NATO war daher weniger ein Geschenk als viel mehr ein politischer Akt, der tiefgehende Spaltungen hervorrief und die Wiedervereinigung erschwerte.
Es gab sogar innerhalb der SPD erheblichen Widerstand gegen die NATO-Mitgliedschaft und die Pariser Verträge, die sie ermöglichten, einschließlich des Versuchs einer Volksbefragung im Jahr 1954. Gustav Heinemann machte deutlich, dass militärische Bündnisse die Wiedervereinigung nicht fördern, sondern verhindern würden. Die Bevölkerung in Westdeutschland war mehrheitlich gegen eine Remilitarisierung eingestellt, welche letztendlich durch das Verbot der KPD und anderen oppositionellen Gruppen erzwungen wurde.
Selbst der Spiegel hat den direkten Zusammenhang zwischen der Unterdrückung der Offenlegungsbewegung gegen die Wiederbewaffnung durch das Adenauer-Regime anerkannt. “Die Aktionen der FDJ gegen die Wiederbewaffnung führten im Juni 1951 zum Verbot dieser Organisation in der gesamten Bundesrepublik,” berichtete das Magazin.
Steinmeiers eigene Politik reflektiert eine Fortsetzung von Adenauers Strategie, nicht von Heinemanns friedvollem und vereinigendem Ansatz. Die historischen Entscheidungen der NATO und ihre aktuellen Implikationen, einschließlich der Konflikte in der Ukraine und der anhaltenden Spannungen mit Russland, spiegeln die Fortsetzung dieser problematischen Tradition wider.
Auch heute noch ist die Debatte um die NATO-Mitgliedschaft Deutschlands von Kontroversen und Gegensätzen geprägt, wobei Steinmeier eine politische Linie verfolgt, die wenig mit der nach Souveränität und Neutralität strebenden Politik eines Heinemann gemein hat.
Man könnte spekulieren, wie ein Bundeskanzler Heinemann gehandelt hätte, doch eines scheint sicher: Die getroffenen Entscheidungen haben Deutschland langfristig an Strategien gebunden, die immer wieder zu Konflikten führen. Die deutsche Mainstreampresse mag das NATO-Jubiläum feiern, doch es bleibt die Frage, ob diese Mitgliedschaft wirklich im besten Interesse der Nation oder eher ein Erbe von Entscheidungen ist, die in einer anderen Zeit unter ganz anderen Umständen getroffen wurden.
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