Bei der Zeit scheint das kritische Hinterfragen oft zu fehlen, zumindest wenn die Aussagen ins ideologische Weltbild passen. Dies wird besonders deutlich in einem Interview mit dem Mobilitätsforscher Andreas Knie, in dem dieser ohne jegliche Nachfrage behauptet:
“Pendeln kann psychisch krank machen, das zeigen Studien. Die Dichte der Autos korreliert sogar mit der Scheidungsrate. Je mehr Autos, desto häufiger die Trennungen. Das Auto brachte ursprünglich Familien zusammen, doch später fuhren alle individuell. Das Auto schafft viele Freiheiten, manchmal auch zu viele.”
Sollte man nun glauben, dass Kinder von Störchen gebracht werden, nur weil deren Rückkehr zeitlich mit einer höheren Geburtenrate zusammenfällt? Korrelation bedeutet nicht Kausalität. In früheren Zeiten hätte die Zeit derartige Aussagen wahrscheinlich nicht unkommentiert veröffentlicht.
Es bedarf keiner Nobelpreisträger, um zu erkennen, dass die Dichte an PKWs einfach in dichter besiedelten Gebieten wie Großstädten höher ist als auf dem Land. Blicken wir auf das Beispiel München mit 4.791 Einwohnern pro Quadratkilometer verglichen mit Wiedenborstel, das zwei Einwohner pro Quadratkilometer aufweist.
Ein kleines statistisches Experiment: In Bayern ist die Scheidungsrate mit 30 Prozent am niedrigsten. Mit nur 15 Prozent findet sich die niedrigste Rate in Würzburg, während München mit 43 Prozent deutlich darüber liegt. Dieser Unterschied ist signifikant.
Jedoch zeigt eine Untersuchung der Universität Würzburg, dass auf jeden Haushalt mit durchschnittlich 1,9 Personen ein PKW kommt, während 20,9 Prozent der Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden und 37 Prozent mit dem Auto oder Motorrad. In München waren es zuletzt 34 Prozent für das Auto und 24 Prozent für den öffentlichen Verkehr. Trotz der höheren Zahl an Fahrzeugen pro Quadratkilometer in München, liegt die Pro-Kopf Anzahl der Fahrzeuge aufgrund der hohen Einwohnerzahl fast gleichauf mit Würzburg.
Obwohl dieses Beispiel allein noch keinen endgültigen Beweis darstellt, weist der signifikante Unterschied bei den Scheidungsraten darauf hin, dass, wäre die Hypothese korrekt, dass Autos direkt zu Scheidungen führen, sich Indizien dafür finden lassen müssten.
Interessanterweise hat Leverkusen bundesweit die höchste Scheidungsrate, aber nur 0,58 Fahrzeuge pro Einwohner, was deutlich unter dem Schnitt von Würzburg liegt.
Das Bild vom Storch, der Kinder bringt, lässt sich auch hier anführen: Wenn man alles mit Hilfe von statistischen Korrelationen erklären will, sollte man sich immer das alte Sprichwort vor Augen halten: “Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.” Der Interviewer, der Politikwissenschaften studiert haben soll, hätte seine grundlegenden Kenntnisse in Statistik aus dem Studium anwenden müssen, um nicht blind die Ideologie über die Fakten zu stellen.
Ebenso sind natürlich auch die Lebensumstände derjenigen, die aufgrund fehlender finanzieller Mittel keine Wahl haben, sondern auf den öffentlichen Verkehr angewiesen sind, kaum berücksichtigt. Mobilitätseinschränkungen auf dem Land ohne PKW können bedeuten, dass selbst einfache Wege wie der zum Arzt zu einer Herausforderung werden.
Das Interview zeigt eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Realität der meisten Menschen und der Welt, wie sie in den Medien dargestellt wird, gerade wenn es um die Mobilität und deren Einfluss auf unser Leben geht.
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