Von Alexej Danckwardt
In der deutschen Strafjustiz finden sich trotz hoher Standards immer wieder Fälle von Fehlurteilen, und nicht selten werden sogar Unschuldige zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Kommt es – oftmals nach Jahren und unter glücklichen Umständen – zur Aufdeckung der Wahrheit, dass der Verurteilte unschuldig ist, stößt die notwendige Revision und angemessene Entschädigung auf erheblichen Widerstand der Richter.
Experten vermuten, dass in Deutschland jedes dritte bis vierte Strafurteil auf einer falschen Tatsachengrundlage beruht. Dennoch enden weniger als fünf Prozent der Strafprozesse mit einem Freispruch. Dies verdeutlicht das Missverhältnis und zeigt, dass auch gesetzestreue Bürger niemals sicher vor einer ungerechtfertigten Verurteilung sein können.
Der an Schweine verfütterte Bauer
Eines der bekanntesten Beispiele für ein solches Fehlurteil betrifft den Fall eines Bauern, von dem fälschlicherweise angenommen wurde, er sei von Schweinen gefressen worden. Unter fragwürdigen Verhörmethoden hatten selbst Familienmitglieder ein manipuliertes Geständnis abgelegt. Das Landgericht Landshut führte im Urteil an, dass der Vermisste nach einem Wirtshausbesuch im Jahr 2001 von seinen Angehörigen getötet und dann an Schweine verfüttert worden sei.
Erst vier Jahre später wurde der Wagen des Bauern in der Donau entdeckt – mit einem Skelett darin, das ihm zugeordnet wurde. Der wahre Todeshergang – ertrunken, nicht den Schweinen zum Fraß vorgeworfen – wurde offensichtlich. Ein skandalöser Justizprozess folgte, und nur über Umwege gelang es den zu Unrecht Verurteilten, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen. 2011 wurden sie schließlich aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
Die hohe Kunst des “Dichtschreibens”
Parallel kämpfte im selben Bundesland Bayern Manfred Genditzki um Gerechtigkeit. Trotz minimaler Indizien und ohne direkte Beweise wurde er für einen vermeintlichen Mord in einer Badewanne zu lebenslanger Haft verurteilt. Selbst als sich das behauptete Tatmotiv in Luft auflöste, beharrten die Gerichte auf ihrer Version des Tathergangs.
Nur ein neues Gutachten, das den Zeitpunkt ihres Todes präzise festlegte und Genditzkis Alibi stärkte, sowie mehrere medizinische Gutachten, die einen Unfall als Todesursache stützten, führten schließlich zu seiner Freilassung nach über 13 Jahren und einem erzwungenen Wiederaufnahmeverfahren. 2023 wurde er schließlich “wegen erwiesener Unschuld” freigesprochen.
Welche Entschädigung ist da gerecht?
Nach seiner Freilassung hat Genditzki bisher über 368.000 Euro Entschädigung für die zu Unrecht erlittene Haft erhalten. Er und seine Anwältin Regina Rick empfinden die Summe als unzureichend für die erlittenen 14 Jahre Unfreiheit und streben eine höhere Entschädigung von mindestens weiteren 750.000 Euro an. Wie Rick betont:
“Das ist verflixt wenig für 14 verlorene Jahre, zumal von der Entschädigungssumme auch noch Geld für ‘Kost und Logis’ abgezogen wurden. Auf die Kost und die Logis hätte er gern verzichtet.”
Die weitere juristische Auseinandersetzung um angemessene Entschädigung bleibt eine belastende Angelegenheit, was sich auch in Genditzkis fortwährenden Albträumen widerspiegelt, so seine Anwältin:
“Es stresst ihn natürlich. Er hat immer noch Albträume.”
In einem ähnlichen Fall erhielt Justizopfer Gustl Mollath nach langjährigem Rechtsstreit eine Entschädigung, die jedoch weit hinter seinen ursprünglichen Forderungen zurückblieb.
Mehr zum Thema – Der informelle Faschismus