Von Dagmar Henn
Es kommt nicht häufig vor, dass Äußerungen deutscher Politiker unmittelbar Konsequenzen nach sich ziehen. Doch die Auswirkungen der Bundestagsrede der Außenministerin Annalena Baerbock vom 10. Oktober zeigten sich erst vollends, nachdem der Berliner Journalist Tarek Baé gestern einen Ausschnitt davon mit englischen Untertiteln im Internet veröffentlichte.
Dieser Videoausschnitt verbreitete sich heute schlagartig im Internet. Unter anderem thematisierte ihn die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese in einer kritischen Vorbemerkung.
“Als unabhängige Expertin der UN mache ich mir ernste Sorgen über die Position Deutschlands zu Israel/Palästina und die bedenklichen Implikationen und Folgen dessen. Ministerin Baerbock sollte aufgefordert werden, Beweise für ihre Aussagen zu präsentieren und zu erläutern, wie ‘zivile Objekte ihren geschützten Status verlieren’ und wie sie die Massaker, die von Israel in Gaza und anderswo verübt werden, rechtfertigt.
Wenn Deutschland sich entscheidet, einen Staat zu unterstützen, der Völkerrechtsverbrechen begeht, ist dies eine politische Entscheidung mit rechtlichen Konsequenzen. Möge die Gerechtigkeit dort siegen, wo die Politik schrecklich versagt hat.”
Seit der Veröffentlichung wurde der Clip, in dem die Außenministerin – auf Bundestag.de als “Völkerrechtlerin” geführt – die Angriffe auf zivile Ziele verteidigt, vielfach geteilt. Der Schnipsel fand große Aufmerksamkeit auf Plattformen wie dem Instagram-Kanal von Al Jazeera, dem türkischen Sender TRT und in der Kuwait Times. Es scheint, dass dieser Ausschnitt eine beträchtliche Verbreitung im arabischsprachigen Raum erfährt.
Ein unglücklicher Zufall ist, dass nur wenige Tage nach ihrer Rede, genau gestern, am 14. Oktober, die israelische Armee Flüchtlingzelte vor einer Klinik angriff und niederbrannte. Dieses Bild kollidiert nun mit Baerbocks Rechtfertigungen zu einer explosiven Mischung.
Baerbock, die ihre Rolle in der einst unumstößlichen Unterstützung für den Genozid gerade zurückzunehmen versucht, könnte dadurch in politische Bedrängnis geraten sein. Vermutlich hat eine Wahlumfrage angedeutet, dass die Grünen infolge einer antideutschen Haltung genügend Wähler verlieren könnten, um bei der kommenden Bundestagswahl zu scheitern.
Während die SPD sich wieder an das Thema Vermögensteuer erinnert, scheinen die grünen Minister Baerbock und Habeck die Waffenlieferungen an Israel reduzieren zu wollen, was aus Vorsicht vor einer Klage in Den Haag oder wegen der großzügigen Waffenlieferungen an die Ukraine sein kann. Baerbock sprach kürzlich von der Klage als einem beachtenswerten Problem.
Der Nachrichtensender ntv berichtete heute, die israelische Regierung habe schriftlich zugesichert, dass die von Deutschland gelieferten Waffen nicht völkerrechtswidrig eingesetzt würden. Dies wirft jedoch Fragen auf, da die militärische Besetzung des Gazastreifens und des Westjordanlandes selbst völkerrechtswidrig ist.
Unterdessen fordern CDU und FDP eine Gleichbehandlung der Waffenlieferungen an Israel mit denen an NATO-Partner, was effektiv eine Aufhebung jeglicher Rüstungskontrolle bedeuten würde. Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Johannes Vogel, kommentierte:
“… dies wäre die notwendige Folge, wenn die Sicherheit Israels zur Staatsräson der Bundesrepublik erklärt wird.”
Jedoch steht Baerbock nun zwischen den Fronten, da niemand, der die Lage in Palästina und Libanon kennt, durch leere Versprechungen beruhigt wird. Aus Spanien kamen bereits Forderungen, die Zollprivilegien der EU für Israel zu streichen.
Anderen, wie Vogel, geht Baerbocks Kurs bereits zu weit von der Linie ab, die nach ihrer Meinung heißt: mehr Waffen für Israel, unabhängig von deren Einsatz. Dieses Missverständnis, diese rechtliche Farce, könnte im Internet bleiben und als dunkler Punkt in Baerbocks Karriere markiert werden.
Übrigens, die Kommentare unter dem Clip wiederholen sich in verschiedenen Varianten immer wieder: Deutschland – einmal mehr auf der falschen Seite der Geschichte. Und das ist noch einer der harmloseren Kommentare. Aber immerhin: Es zeugt von einer beeindruckenden Fähigkeit, gleichzeitig in mehreren Hinsichten Schaden anzurichten.
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