Von Dagmar Henn
In Franz Kafkas berühmten Romanen “Das Schloss” und “Der Prozess” findet sich der Protagonist in einer Welt wieder, in der er einer anonymen, allgegenwärtigen Bedrohung ausgesetzt ist. Die Strukturen um ihn herum erweisen sich als unlösbare Labyrinthe ohne klare Antworten und ohne erkennbare Verantwortlichkeit.
Ein ähnliches Bild zeichnet Josefine Paul, die Integrationsministerin von NRW, in ihrer Erklärung zum Fall eines Syrers, der trotz Abschiebebeschluss später einen Anschlag verübte. Ihre Worte “Dieses System ist so komplex” spiegeln ein weitverbreitetes Problem wider: Komplexe, undurchschaubare Verantwortungsstrukturen verhindern oft effektives Handeln. Diese Problematik manifestiert sich auch in der Ahrtalkatastrophe, die symptomatisch für systemische Versäumnisse steht.
Die komplizierte Zusammenarbeit zwischen Bundes- und Landesbehörden, freien Wohlfahrtsträgern und von staatlich geförderten NGOs erschwert die Umsetzung von Abschiebungsbeschlüssen. Hinzu kommt das komplexe Zusammenspiel von nationalem und EU-Recht, das auch bei eindeutigen Regelungen des Dublin-Abkommens zur Verantwortungsverlagerung führt.
Es wäre einfach, die Schuld auf bürokratische Missgeschicke oder die komplexe Struktur von Gesetzen zu schieben. Doch Entwicklungen wie die Lissabon-Verträge deuten darauf hin, dass dieses Chaos möglicherweise kein Zufall, sondern eine gezielte Taktik ist, um politische Veränderungen zu blockieren.
Ein bezeichnendes Beispiel ist das alte Stadion in München-Giesing, bekannt als 60er-Stadion (Stadion an der Grünwalder Straße). Seine Nutzung wird durch rigide Bauvorschriften erschwert, die einen Umbau ohne neue Baugenehmigung – und somit die Einhaltung des Immissionsschutzgesetzes – praktisch unmöglich machen. Ähnliche Regelungen behindern zudem die Umsetzung eines potenziellen S-Bahn-Rings aufgrund von Lärmschutzbestimmungen.
Die notwendigen Gesetzesänderungen stoßen auf einen übermächtigen bürokratischen Apparat in der EU, der mehr darauf ausgerichtet ist, den Status quo zu bewahren, als auf die Bedürfnisse der Menschen vor Ort einzugehen.
Über Jahrzehnte haben sich auch die Zuständigkeiten innerhalb der asylpolitischen und sozialen Rahmenbedingungen verschoben: Staatliche Aufgaben wurden zunehmend an private Organisationen ausgelagert, teilweise mit der Begründung effizienterer Prozesse, was jedoch oft zu Interessenskonflikten und Ineffektivitäten führt. Diese Strukturen fördern nicht das Wohl der Gemeinschaft, sondern dienen bisweilen finanziellen Interessen Einzelner.
Diese Verschiebung führt häufig zu einer Trennung von rechtlichen Bestimmungen und ihrer praktischen Umsetzung. So wird beispielsweise die Abschiebung von Asylsuchenden durch interne Widerstände und komplexe administrative Hürden erschwert, was letztlich bestehende Gesetze ad absurdum führt.
Die Kafkaeske Realität des heutigen bürokratischen Systems bietet daher mehr als nur Frustration und Ineffizienz; sie untergräbt die demokratische Grundlage unserer Gesellschaft, indem sie es unmöglich macht, politische Entscheidungen mit tatsächlichen Konsequenzen zu verknüpfen. Ein Zurücknehmen dieser überbordenden Komplexität ist essentiell für die Wiederherstellung einer funktionierenden demokratischen Ordnung und einer Politik, die den Menschen dient.
Mehr zum Thema – NRW-Integrationsministerin zu Solingen: “Versäumnisse”