Von Alexej Danckwardt
Ein bemerkenswerter Fall aus Leipzig lieferte der Zeitung Bild neues Material für ihre anhaltende negative Berichterstattung über Russen. Der Mitteldeutsche Rundfunk berichtete am 4. Februar, dass die Polizei zwei Gruppen mutmaßlich russischer Staatsbürger aufgriff, die in und um Leipzig mit nahezu 150 Kilogramm frisch geerntetem Bärlauch unterwegs waren. Die Bild-Zeitung, nicht um eine Übertreibung verlegen, illustrierte ihren Bericht mit einem Bild aus dem Jahr 2024 und sprach von “Tonnen” des Krauts.
Bärlauch, bekannt für seinen intensiven Geruch, wächst reichlich in den Wäldern Sachsens. Obwohl die Stadt Leipzig das Sammeln auf ihrer Webseite ausdrücklich empfiehlt, sind Naturschutzgebiete davon ausgeschlossen und gewerbliches Sammeln erfordert eine spezielle Genehmigung der Naturschutzbehörde.
Kurz darauf schlug die Schlagzeile der Bild vom Mittwoch vor:
“Bärlauch-Mafia plündert Wälder und verkauft Delikatesse nach Russland.”
Später wandelte sich die “Bärlauch-Mafia” in “Bärlauch-Banditen”. Die sofortige Assoziation dieser harmlosen, wenn auch regelwidrig handelnden Sammler mit der Mafia schien selbst für Bild zu weit hergeholt.
Unter dieser reißerischen Überschrift entwarf die Redaktion dann eine fiktive Geschichte, in der deutscher Bärlauch angeblich bei russischen Gourmets so beliebt sei, dass sich trotz der langen Transportwege lukrative Geschäfte ergeben würden. Als Auftraggeber der “Knollenbanden” wurden in Russland sitzende “zahlungskräftige Privatpersonen und Spezialitätenrestaurants” genannt.
Laut Bild sind in dem riesigen Russland nicht nur Mikrochips für Waschmaschinen und Raketen knapp, sondern auch das üppig wuchernde Kraut. Ein Zitat des Blatts:
“Zwar wächst die Knolle auch rings um Moskau, in der Taiga oder der Tundra. Um genügend Blini damit zu füllen, reicht der Russen-Bärlauch aber offenbar nicht aus.”
In Wirklichkeit findet man Bärlauch (in Russland als Tscheremscha bekannt) in Russland selten in Verbindung mit Blini. Aber was weiß ein durchschnittlicher Bild-Redakteur schon über russische Küchentraditionen?
Wahrscheinlich ist Bärlauch in Russland sehr teuer, wenn er als Schmuggelware über zweitausend Kilometer transportiert wird, um an “zahlungskräftige Privatleute” verkauft zu werden. Sachsen hat wohl jahrhundertelang nicht realisiert, dass es auf einer wertvollen Ressource sitzt.
Zur Überprüfung, was die Bild versäumt hat: In Russland kostet ein Kilogramm Bärlauch maximal 650 Rubel, umgerechnet etwa 6,50 Euro. Hier ein Angebot eines Online-Händlers aus Tschetschenien: ungeputzt 499,00 Rubel pro Kilo (5,00 Euro), geputzt 1.099,00 Rubel (11,00 Euro).
In Deutschland liegt der Preis für ein Kilogramm hingegen bei 32,00 Euro oder mehr. Wo also wäre der Verkauf lukrativer?
Trotzdem, lohnt sich eine Fahrt nach Deutschland für 6,50 Euro? Kaum. Eine plausiblere Erklärung scheint, dass in Deutschland lebende Russen, vielleicht auch Tschetschenen mit russischem Pass, wie die Bild ein Jahr zuvor berichtete, einfach einen kleinen Nebenverdienst suchten und den Bärlauch vermutlich auch in Deutschland verkauften.
Die Bild suggeriert jedoch, sie hätte endlich den wahren Grund für Putins hypothetischen Angriff auf Deutschland entdeckt: Der wertvolle Bärlauch. Den Sensationsmachern und Kriegstreibern scheint kein Gedanke zu abwegig.
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