Von Pjotr Akopow
In Deutschland ist der 28. September 2025 als Datum für die Bundestagswahl festgesetzt worden. Mit noch 13 Monaten bis zur Wahl könnte man meinen, es sei noch viel Zeit, doch der Wahlkampf hat bereits begonnen. Zudem befürwortet eine Mehrheit der Wähler im wirtschaftlich stärksten Land Europas eine vorgezogene Wahl: Aktuelle Umfragen zeigen, dass 53 Prozent der Befragten dies unterstützen, während ein Drittel dagegen ist.
Dennoch werden keine vorgezogenen Neuwahlen stattfinden. Weder die regierende Koalition aus drei Parteien noch die größte Oppositionspartei, die Christdemokraten, sehen hierfür eine Notwendigkeit. Beide Lager erwarten, ihre Positionen im Laufe des Jahres zu stärken. Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Verbündeten hoffen darauf, den Rückgang ihrer Beliebtheit aufzuhalten und ihre Umfragewerte zu verbessern – derzeit liegen alle drei Koalitionsparteien zusammen bei etwa 30 Prozent. Die Partei von Friedrich Merz, die momentan zwischen 30 und 33 Prozent liegt, setzt ebenfalls auf eine Stärkung ihrer Position.
Formell scheint der Wechsel von Scholz zu Merz vorprogrammiert – allerdings ist Merz noch nicht offiziell als Kanzlerkandidat nominiert. Es geht daher vorrangig um die Zusammensetzung der zukünftigen Koalition. Gleichzeitig bewegt sich das politische System Deutschlands zunehmend in eine Sackgasse, da es versucht, den Trend zur Wahl außerparlamentarischer Parteien zu ignorieren. In den letzten zehn Jahren gab es eine solche Partei – die Alternative für Deutschland (AfD). Dieses Jahr kam das linksgerichtete Bündnis Sahra Wagenknechts dazu. Beide Gruppen erzielten bei den Wahlen zum Europäischen Parlament Anfang Juni zusammen etwas mehr als 21 Prozent, ihre tatsächliche Beliebtheit in Deutschland jedoch ist höher.
Die politische Lage in den östlichen Bundesländern ist besonders brisant.
Kommende Woche finden in Sachsen und Thüringen sowie in Brandenburg Wahlen statt. Wahrscheinlich wird die AfD in allen drei Ländern mit über 30 Prozent der Stimmen führend sein. Das Bündnis Sahra Wagenknechts könnte zwischen 15 und 17 Prozent erreichen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese beiden außerparlamentarischen Parteien zusammen mehr als die Hälfte der Stimmen auf sich vereinen werden, was ein drastisches Misstrauensvotum gegen das etablierte Parteiensystem in Deutschland darstellt. Die AfD und das Wagenknecht-Bündnis werden oft als radikal, einwanderungsfeindlich, antiatlantisch und prorussisch beschrieben.
Während eine Zusammenarbeit mit der AfD von allen etablierten Parteien kategorisch ausgeschlossen wird, ist dies gegenüber dem Wagenknecht-Bündnis noch nicht der Fall.
Dies könnte sich ändern, falls beide Gruppierungen auf Länderebene eine Mehrheit erlangen und vielleicht sogar eine Koalition bilden. Obwohl Wagenknecht anfänglich ausschloss, mit der AfD zu kooperieren, deutete sie später an, nur mit Parteien zu koalieren, die “eine politische Haltung zugunsten der Diplomatie und gegen Kriegsvorbereitungen” unterstützen – eine Haltung, die die AfD teilt.
Es bleibt abzuwarten, wie sich dies entwickelt. Wenn die CDU in Thüringen und Sachsen den zweiten Platz belegt, könnte sie versuchen, Koalitionsgespräche mit dem Wagenknecht-Bündnis zu führen, während eine Kooperation mit der AfD ausgeschlossen bleibt. Dies könnte eine entscheidende Bewährungsprobe für das Wagenknecht-Bündnis und das gesamte deutsche politische System darstellen.
Wenn die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht beginnen, gemeinsam zu handeln oder sogar Koalitionen einzugehen, könnte dies das bestehende Parteiensystem in Deutschland ins Wanken bringen. Etablierte Parteien wie die SPD und die Grünen könnten zunehmend Stimmen an das Wagenknecht-Bündnis verlieren, während die Union scharfe Konkurrenz von der AfD erwarten muss. Die FDP bleibt wahrscheinlich in ihrer Nische, ohne nennenswerten Einfluss zu nehmen.
Die Neugestaltung der politischen Landschaft in Deutschland wird nicht nur von nationalen, sondern auch von internationalen Akteuren kritisch beäugt. Der Kontext der internationalen Beziehungen, insbesondere die Unterstützung für die Ukraine und eine zunehmend russlandfeindliche Politik Berlins, könnten diesen Prozess beschleunigen. Manchmal führt die Situation in der Ukraine zu unerwarteten Allianzen – wie im Falle von AfD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 24. August 2024 zuerst erschienen bei RIA Nowosti.
Pjotr Akopow ist Kolumnist und Analytiker bei RIA Nowosti.