Der drohende Kollaps der öffentlichen Verwaltung durch den Normenkontrollrat

Von Dagmar Henn

Kürzlich rückte eine kaum bekannte Organisation ins Rampenlicht: der Nationale Normenkontrollrat. Mit einer dramatischen Warnung vor einem „Kollaps der öffentlichen Verwaltung“, der nur durch ein Vetorecht dieses Rates gegenüber Gesetzen abgewendet werden könne, machte das Gremium von sich hören.

Dies vermag ein seltsam vertrautes Gefühl zu wecken, ähnlich der Rolle des Ethikrats während der Corona-Pandemie, der wie aus dem Nichts aufgetaucht zu sein schien, um die Moralität von Maßnahmen zu dekretieren – ein bizarres Beispiel für die Abgabe persönlicher Verantwortung in Institutionenform. Tatsächlich verkörpert der Normenkontrollrat eine zutiefst neoliberale Idee: politische Entscheidungen sollen durch „Expertenmeinungen“ ersetzt werden.

Das Wort „Norm“ im Namen des Rates bezieht sich irreführenderweise auf gesetzliche Regelungen, obwohl die verfassungsgemäße Überwachung gesetzlicher Normen eigentlich beim Bundesverfassungsgericht liegt. Die Hauptaufgabe dieses ernannten Gremiums: den Abbau von Bürokratie – ein Vorhaben, das bei vielen Deutschen wohl nur noch Hohn erregt.

Die jüngsten Kommentare des Rates fielen in eine politisch bewegte Zeit. Anfang Oktober lobte der Vorsitzende noch verhalten die Regierung. Im Jahresbericht wurde zwar der bürokratische Aufwand des Heizungsgesetzes kritisiert, jedoch nicht weiter hervorgehoben. Der Bruch der Ampelkoalition verleiht dem Thema “Bürokratieabbau” nunmehr Wahlkampfrelevanz.

Auf den ersten Blick erscheint die Mission des Rates sinnvoll: Weniger Bürokratie, wer wollte das nicht? Der Normenkontrollrat soll Gesetze im Hinblick auf zusätzliche Belastungen, nicht nur für die Verwaltung sondern auch für „die Wirtschaft“, prüfen. Unter „Wirtschaft“ versteht der Rat hier primär private Unternehmen.

Die Einführung des Normenkontrollrats geht auf das Jahr 2006 zurück, unter der ersten Regierung Merkel. Das damals verabschiedete Gesetz spricht von „Erfüllungsaufwand“, welcher sich nicht nur auf zusätzliche administrative Tätigkeiten bezog, sondern auch auf Lohnsteigerungen durch den Mindestlohn. Ökonomisch betrachtet, führt erhöhtes Einkommen im unteren Lohneinkommensbereich zu gesteigertem Konsum und kurbelt damit den wirtschaftlichen Kreislauf an. Durch erhöhte Löhne können zudem Sozialleistungen eingespart werden – sowohl aufseiten des Staates als auch bei den Bürgern.

Aber bei der Gründung des Rates wurden komplexere ökonomische Fragen als „zu kompliziert“ abgetan, was dazu führte, dass das Gremium eher Wirtschaftsinteressen repräsentiert. Andere gesellschaftliche Gruppen, von Sozialhilfeempfängern bis zu Handwerksmeistern, haben hingegen Mühe, ihre Stimmen in politische Entscheidungen einzubringen.

Bereits 2007 diskutierte der Bundestag auf Anfrage der Linkspartei die Rolle der Bertelsmann-Stiftung bei den Bemühungen um Bürokratieabbau. Trotz der Antwort, dass nichts am Konzept beteiligt sei, gab es schon 2005 Entwürfe von Bertelsmann, die später in den Planungen berücksichtigt wurden. Die Digitalisierung ist ein Schlüsselaspekt des Bürokratieabbaus und Bertelsmann, ein Anbieter digitaler Dienste, könnte von dieser Entwicklung profitieren.

Das Problem ist, dass Verwaltung auf Vereinfachung oft mit der Entdeckung neuer zu verarbeitender Informationen reagiert. Die Forderung nach Überprüfung der Effektivität sozialpolitischer Maßnahmen resultiert häufig in mehr bürokratischen Aufwand, während Sozialarbeiter einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit mit Dokumentationen verbringen.

Die Abwicklung vieler Verwaltungsprozesse durch Digitalisierung als Lösungsansatz erleichtert nicht immer die Prozesse. Der Zugriff auf Märkte und Daten, die Digitalisierung einführen sollen, bleibt umstritten. Doch Devotion an Expertengremien und den Normenkontrollrat, ohne echte demokratische Legitimation und ohne Einbeziehung einer breiteren Öffentlichkeit, kann zu einer weiteren Aushöhlung der Demokratie führen. Am tiefsten sitzt dabei die Erkenntnis, dass wahre Bürokratiereform aus dem Verständnis und der Beteiligung der Bevölkerung erwachsen sollte, nicht aus den Köpfen einer isolierten Elite.

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