Von Dagmar Henn
Es ist bemerkenswert, welch schnelle Wendungen die politische Landschaft Deutschlands nach der Wahl erlebt hat. Jahrelang hieß es, es fehle an finanziellen Mitteln, um adäquate Renten zu gewährleisten oder die drastische Wohnungsnot zu bekämpfen. Plötzlich jedoch wird ohne Zögern über Schulden in Billionenhöhe diskutiert, die noch vom alten Bundestag verabschiedet werden sollen.
Die Öffentlichkeit schaut fast schon sprachlos zu, wie rasch Wahlversprechen gebrochen werden, und das in einem der schnellsten Fälle in der deutschen Geschichte. Die Strategie der aktuellen politischen Führung scheint darauf ausgerichtet zu sein, diese Maßnahmen schnell durchzusetzen, bevor die Bürger realisieren, dass ihnen buchstäblich die Hemden genommen werden – und das ist keineswegs nur metaphorisch gemeint. Währenddessen bereiten sich die oberen 0,1 Prozent darauf vor, ihre Champagnerflaschen zu öffnen.
Interessanterweise folgt die CDU-Fraktion dieser plötzlichen Kehrtwende nahezu ohne öffentlichen Widerspruch. Dabei wurden die Kandidaten auf Basis eines Wahlprogramms nominiert, welches im Vergleich zur jetzt verfolgten übereilten Politik noch harmlos erscheint. Anstatt “Butter” gibt es nun “Kanonen”.
In diesen Prozess wird auch die einzige potenzielle Hoffnung einer kleinen Koalition geopfert – nämlich eine partielle Befreiung vom Grünen Irrglaube – indem diese jetzt im Verhandlungspoker um die Zustimmung der Grünen für das riesige Maßnahmenpaket aufgegeben wird.
Gleichbleibend wird der Eindruck vermittelt, das Vorgehen, das deutsche Parlament für Jahre zu entmachten, sei völlig rechtmäßig. Fast so, als sei es normal, nach einer Wahl das alte Parlament weiterarbeiten zu lassen, weil die Mehrheitsverhältnisse des neuen Parlaments nicht genehm sind. Staatsrechtler Ulrich Vosgerau hat dazu auf X argumentiert, dass dies keineswegs der Fall ist. Vosgerau, gegen den erst kürzlich ungerechtfertigte Vorwürfe erhoben und zurückgezogen wurden, stellt klar, dass die Abgeordneten des neuen Bundestages durch dieses Manöver erheblich in ihren Rechten eingeschränkt werden.
Vosgerau erklärt, dass der erforderliche Prozess für vorgezogene Neuwahlen eine Vertrauensfrage im Bundestag umfasste, die Bundeskanzler Olaf Scholz nicht überstand, woraufhin Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Bundestag auflöste, gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes (GG). Vosgerau betont, dass ein früheres Treffen des neuen Bundestages möglich wäre, da die Regel sagt, die Konstituierung erfolge “spätestens am dreißigsten Tag nach der Wahl”. So wäre das gegenwärtige Manöver eigentlich vermeidbar.
Ein Drittel der Mitglieder des neuen Bundestages könnte theoretisch die frühzeitige Einberufung verlangen, was das Manöver verhindern würde. Allerdings müssten dafür Abgeordnete gegen die Parteidisziplin aufbegehren, eine Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen von AfD und Die Linke wäre hierfür erforderlich.
Der offensichtliche Mangel an Rückgrat einiger Parlamentarier, die sich als Marionetten parteiinterner Taktiken sehen, führt zu einem der größten Wahlbetrügereien der letzten Jahrzehnte. Die Öffentlichkeit sollte dominierend über die Legitimität dieser Manöver debattieren, da sie das Wählermandat gleich doppelt entwertet. Fälle wie die plötzliche Zustimmung der SPD zu einer Mehrwertsteuererhöhung von drei Prozent unter der Merkel-Regierung hatten früher noch zu einem Aufschrei in der Presse geführt. Heute jedoch scheint die Presse nur noch mehr Aufrüstung zu fordern. Wer braucht da noch Demokratie?
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