Von Wolfgang Bittner
Ein Bedrohungsszenario und die Rolle Deutschlands
Deutschland bewegt sich seit Jahren auf einem gefährlichen Pfad in Richtung Totalitarismus. Ein neuerlicher Schritt in diese Richtung ist der Koalitionsvertrag der CDU/CSU mit der SPD, datiert auf den 9. April 2025. Zu Beginn des Vertrages steht:
“Um den richtigen Pfad für die kommenden Jahre zu wählen, müssen wir zunächst unsere Lage klar erkennen: Äußere Feinde unserer liberalen Demokratie attackieren unsere Freiheiten. Autoritäre Staaten gewinnen an Stärke. Der andauernde russische Angriffskrieg in der Ukraine stellt auch eine direkte Bedrohung für unsere Sicherheit dar. Wir werden Zeuge von hybriden Angriffen auf unser Land, die darauf abzielen, unseren nationalen Zusammenhalt zu zerstören, unsere Demokratie zu untergraben und unsere Sicherheit zu gefährden. Doch auch innerhalb unseres Landes wird die Demokratie täglich angegriffen.”
Diese “Lageeinschätzung” offenbart die ideologische Ausrichtung der Politiker, in deren Hände die deutsche Bevölkerung nach der Koalitionsbildung gefallen ist. Von äußeren “Feinden”, die unsere Freiheiten bedrohen, kann keine Rede sein, ebenso wenig wie von einer Bedrohung durch den “russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine”. Vielmehr ist es der Westen unter Führung der USA, der Russland seit Jahren bedroht, und der Konflikt in der Ukraine ist ein Resultat lebensbedrohlicher Provokationen gegen Russland.
Auch die behaupteten hybriden Angriffe existieren nicht; stattdessen wird eine gefährliche Aggression und Hetze gegen Russland gefördert. Wer also greift wirklich die Demokratie in unserem Land täglich an, wenn nicht jene Politiker, die sie letztendlich abschaffen wollen, wie der Koalitionsvertrag in vielen Abschnitten zu erkennen gibt?
Es wird weiter behauptet: “Im Inland erleben wir eine anhaltende Wachstumsschwäche unserer Wirtschaft. Das Leben in Deutschland ist komplizierter, teurer und anstrengender geworden.” Warum das so ist, wird nicht hinterfragt und nicht beantwortet. Kein Wort zu den zerstörten Ostsee-Pipelines, die durch ansteigende Energiepreise viele Unternehmen in den Bankrott oder ins Ausland getrieben haben.
Im nächsten Satz verspricht die Regierung unter Friedrich Merz “Wohlstand für alle” zu schaffen, die Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit zu stärken und “an der Seite der Ukraine zu stehen, die auch unsere Freiheit und die Prinzipien der regelbasierten Ordnung verteidigt”. All dies klingt wie aus einer PR-Kampagne eines Großkonzerns. Wohlstand für viele war bereits erreichbar, und Verteidigung war sekundär, da es keine echten Angreifer gab. Das Bedrohungsszenario entstand erst durch eine destruktive Politik des Westens.
Was genau verteidigt die Ukraine, die nach dem Umsturz von 2014 unter das Regime von Nationalisten und Faschisten geraten ist und – ermutigt durch Washington – einen Konflikt mit Russland provoziert hat? Und welche “regelbasierte Ordnung” wird da verteidigt, von welcher Ordnung sprechen sie, wenn schon die Charta der Vereinten Nationen, die internationales Recht in Bezug auf Humanität und Frieden regelt, außer Kraft gesetzt scheint? Und wenn ja, von wem?
In dem Koalitionsvertrag wird oft bedingungslos die Bindung zur NATO und zu den USA beschworen, auch zu Großbritannien und Frankreich; im Sinne einer Anbiederung an Washington soll der “destruktive Einfluss” des “iranischen Regimes” in der Nahost-Region zurückgedrängt werden. Deutschland soll “aufgrund seiner geografischen Lage in Europa” als “zentrale Drehscheibe der NATO” weiter ausgebaut werden. Die Ausgaben für Verteidigung sollen “deutlich und stringent” steigen und für “Wehrerfassung und Wehrüberwachung die Voraussetzungen geschaffen werden”.
In vielen Teilen des Dokuments geht es um Militäraufstockung, Feindschaft zu Russland und die Unterstützung der Ukraine bis zum erhofften Sieg über den Erzfeind, den sie in der Person Wladimir Putins sehen.
Feindbild Russland
Die Hetze gegen Russland hört nicht auf. Während Wladimir Putin alles daransetzt, einen Krieg mit der NATO zu vermeiden, setzen die Provokationen der vornehmlich amerikanischen Allianz weiterhin fort. Die Koalitionspartner meinen: “Unsere Sicherheit ist heute so stark bedroht wie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr.” Das mag stimmen, doch die Folgerung, die größte Bedrohung ginge von Russland aus, welches im vierten Jahr einen brutalen und völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine führt, ist falsch. In Wirklichkeit geht die größte Bedrohung vom Westen aus, der seit Jahren auf einen Regimewechsel in Moskau abzielt. Wladimir Putin hat in seiner denkwürdigen Rede 2001 im Deutschen Bundestag Kooperation angeboten und ist dabei auf Ablehnung gestoßen, wurde zurückgewiesen und belogen, wie die Minsker Verträge zeigen, und durch Fehlleitung der USA unter Barack Obama und Joseph Biden in einen verschleißenden Konflikt mit der Ukraine getrieben worden.
Michail Gorbatschow hatte 1990 maßgeblich zur Vereinigung der DDR mit der BRD beigetragen, doch diese historische Rolle wird heute vielfach ignoriert. Damals kam es zum Zwei-plus-Vier-Vertrag, der am 15. März 1991 in Kraft trat, in dem festgelegt wurde, dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird. Gemäß der Verfassung des vereinten Deutschland sind Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, vor allem die Vorbereitung eines Angriffskrieges, verfassungswidrig und strafbar. Auch wurde auf den Verzicht von atomaren Waffen hingewiesen. Sollte all dies nun nichtig sein?
Die Koalitionspartner versprechen jetzt: “Wir werden die Ukraine umfassend unterstützen, damit sie sich gegen den russischen Aggressor effektiv verteidigen und sich in Verhandlungen behaupten kann.” Und der Verteidigungsminister sagt, Deutschland müsse bis 2029 “kriegstüchtig” sein. Das ist nichts anderes als ein Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung und ein bedrohlicher Irrweg.
Die Berliner Politikerkaste hat immer noch nicht erkannt, dass sowohl Donald Trump als auch Wladimir Putin miteinander sprechen und verhandeln und dass sowohl die USA als auch Russland Frieden wollen, mindestens jedoch keinen weiteren Krieg. Stattdessen zieht Friedrich Merz das eigene Land tiefer in den Konflikt mit Russland hinein.
Während eines Besuchs in Kiew im Dezember 2024 sagte Merz: “Wenn unsere Unterstützung für die Ukraine schwächer wird, dann wird dieser Krieg länger dauern. Wenn unsere Unterstützung für die Ukraine konsequent ist, dann wird dieser Krieg schneller enden.” Er sprach sich dafür aus, Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine zu liefern: “Unsere Position ist klar: Wir wollen ihre Armee in die Lage versetzen, Militärbasen in Russland zu erreichen…” Selenskij erwiderte: “Wir zählen auf stärkere, entschlossenere Taten Deutschlands, von Ihnen persönlich. Wir verlassen uns sehr darauf.”
Mit Merz ist also eine Verlängerung des Ukraine-Krieges auf unabsehbare Zeit zu erwarten. Seine Bereitschaft, die ukrainische Armee mit Taurus zu beliefern,wiederholte er am 13. April 2025 in einem Interview mit Caren Miosga, in dem er auch seine Haltung gegenüber dem russischen Präsidenten erklärte: Putin begehe “schwerste Kriegsverbrechen”, er interpretiere “unsere Bereitschaft, mit ihm zu verhandeln, nicht als ernsthaftes Angebot, Frieden zu ermöglichen, sondern als Schwäche”. Die ukrainische Armee müsse jetzt “aus der Defensive herauskommen” und beispielsweise in die Lage versetzt werden, die Krim-Brücke zu zerstören.
Der Brüsseler Russland-Experte und Historiker Gilbert Doctorow warnte, Friedrich Merz mit seiner “kriegerischen Rhetorik” sei “der gefährlichste deutsche Führer seit Adolf Hitler”. Er wolle Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern und habe signalisiert, “dass die Ukraine die Taurus zur Zerstörung der Kertsch-Brücke und anderer Ziele auf der russischen Krim einsetzen dürfe”. Die Russen hätten diese Aussagen sofort zur Kenntnis genommen und seien “bereit, Deutschland einen vernichtenden Gegenschlag zu versetzen, wenn Merz seine Politik fortsetzt, die den schlimmsten deutschen Revanchismus widerspiegelt”. Merz selbst ist “mit seinen erklärten Plänen, Russland zu bestrafen, völlig außer Rand und Band geraten”.
Auch der stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrates der Russischen Föderation und ehemalige Präsident Dmitri Medwedew nannte Friedrich Merz einen Nazi, und Kreml-Sprecher Peskow beklagte einen fehlenden Willen der westeuropäischen Regierungen, “sich um Wege zu Friedensgesprächen zu kümmern”. Sie seien “eher geneigt, die Fortsetzung des Krieges weiter zu provozieren”.
Der persönliche Einsatz des Friedrich Merz für die Ukraine
Friedrich Merz gibt den Kiewer Machthabern mit seiner Unterstützung Auftrieb. Der ehemalige ukrainische Botschafter Andrei Melnyk, der den Faschisten Bandera verehrt und sich mit Beleidigungen und Dreistigkeiten hervorgetan hat, ist öffentlich mit einem geradezu irren Forderungskatalog an ihn herangetreten. Die Koalition möge einen Beschluss fassen “über die Finanzierung der Waffenlieferungen für die Ukraine in Höhe von mindestens 0,5 Prozent des BIP (21,5 Milliarden Euro pro Jahr) oder 86 Milliarden Euro bis 2029. … Die gleiche 0,5-Prozent-Regelung initiieren und durchführen auf EU-Ebene (372 Milliarden Euro bis 2029)” sowie “die sofortige Lieferung von 150 Taurus-Marschflugkörpern” und “30 Prozent der verfügbaren deutschen Kampfjets und Hubschrauber”.
Es ist davon auszugehen, dass solche Forderungen nicht ohne Absprache mit Selenskij gestellt werden. Der Wahnsinn, der von der Kiewer Kriegsregierung ausgeht, lässt sich kaum deutlicher darstellen. Entlarvend ist die Belobigung, die Merz von Melnyk erfährt: “Sie wissen, wie sehr ich – als langjähriger Botschafter – den vertraulichen Austausch mit Ihnen als CDU-Vorsitzender und CDU/CSU-Fraktionschef im Bundestag immer geschätzt habe. Es wäre keine Übertreibung zu sagen, dass es uns im April 2022 dank Ihres persönlichen Einsatzes und dem massiven Druck seitens der Opposition im Parlament gelungen ist, Kanzler Scholz und die Ampel dazu zu bewegen, nach langem Zögern schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Auch Ihr mutiger Besuch in Kiew Anfang Mai 2022 – als erster deutscher Staatsmann – war ein starkes Zeichen, um die damalige Bundesregierung anzuspornen, der Ukraine viel stärker militärisch unter die Arme zu greifen.”
In dem Koalitionsvertrag heißt es: “Die Ukraine als starker, demokratischer und souveräner Staat, der eigenständig und mit euro-atlantischer Perspektive über seine Zukunft bestimmt, ist von zentraler Bedeutung für unsere eigene Sicherheit. Wir werden deshalb unsere militärische, zivile und politische Unterstützung der Ukraine gemeinsam mit Partnern substanziell stärken und zuverlässig fortsetzen. Wir werden uns im engen Schulterschluss mit unseren Partnern für eine gemeinsame Strategie hin zu einem echten und nachhaltigen Frieden einsetzen, in dem die Ukraine aus einer Position der Stärke und auf Augenhöhe agiert. Dazu gehören auch materielle und politische Sicherheitsgarantien für eine souveräne Ukraine. Deutschland wird sich an dem Wiederaufbau der Ukraine beteiligen.”
Nachdem die Vision von einer prosperierenden, sicheren und souveränen Ukraine im Vertrag hervorgehoben wird, bleibt kritisch zu hinterfragen, inwieweit derartige Versprechungen angesichts der realen geopolitischen und militärischen Lage realistisch sind. Der Vertrag skizziert eine starke Unterstützung, die jedoch unter aktuellen Bedingungen weiterhin ein hohes Engagement in einem eskalierenden Konflikt bedeutet, dessen Ende noch nicht abzusehen ist.