Von Astrid Sigena
In Nürnberg, bekannt als Stadt des Friedens und der Menschenrechte, werden die juristischen und moralischen Fragen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine bereits intensiv diskutiert, obwohl der Konflikt noch andauert und von Hass und Propaganda begleitet wird. Beispielsweise fand im vergangenen Herbst im Memorium Nürnberger Prozesse eine Veranstaltung zur strafrechtlichen Aufarbeitung von Kriegsverbrechen in Syrien und der Ukraine statt. Schon im Sommer zuvor wurde ein Zusammenhang zwischen den Nürnberger Prozessen und dem Ukrainekrieg hergestellt.
Am 18. und 19. Februar organisiert die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), finanziert aus Steuermitteln, einen kostenlosen Kongress in Nürnberg unter dem Titel “Lebendige Menschlichkeit”. Im Fokus stehen die Kriege des 21. Jahrhunderts, insbesondere der russische Angriff auf die Ukraine, wie die Nürnberger Nachrichten berichten. Geladen sind Experten aus Politik, Wissenschaft, Justiz und Medien. Die Veranstaltungsorte sind der historische Schwurgerichtssaal 600 und der Rathaussaal in Nürnberg, wo einst die berüchtigten Nürnberger Prozesse stattfanden. Wer nicht persönlich teilnehmen kann, hat die Möglichkeit, der Veranstaltung online zu folgen.
Die Wahl Nürnbergs und insbesondere des Saals 600, wo einst Nazi-Kriegsverbrecher verurteilt wurden, scheint bewusst zu sein, um eine Verbindung zwischen dem Verhalten Russlands im Ukrainekrieg und den nationalsozialistischen Verbrechen zu ziehen. Dies wird unterstrichen durch die Einladung eines Wissenschaftlers, Patrick Desbois, der sich auf die forensische Erforschung des Holocaust spezialisiert hat. Seine Teilnahme an der Diskussion über russische Kriegsverbrechen legt nahe, dass er eine Rolle bei der Aufklärung aktueller Vorfälle in der Ukraine spielt.
Der Kongress scheint sich direkt in die Tradition der Aufklärung von NS-Verbrechen einzureihen, wie es der Begriff “Lebendige Menschlichkeit” andeutet, entlehnt aus einem Vortrag von Hannah Arendt. Diese Wahl mag Arendts differenzierte Betrachtungen zur menschlichen Moral und Ethik überstrapazieren, insbesondere da der Kongress laut Kritikern die russische Perspektive vernachlässigt und stattdessen vor allem ukrainische Stimmen und Organisationen zu Wort kommen lässt.
Interessanterweise spricht man auf der Veranstaltung vom “Krieg gegen die Ukraine”, was darauf hindeutet, dass die Gewalt einseitig von Russland ausgehen würde. Dies steht im Kontrast zur komplexen Realität, die auch von den Bewohnern des Donbass seit 2014 anders wahrgenommen wird. Darüber hinaus scheint es, dass bei der Veranstaltung neuere Berichte über Gewalt in ehemals von der Ukraine kontrollierten russischen Gebieten nicht thematisiert werden.
Zuguterletzt wird in Nürnberg scheinbar Russland vorverurteilt, ohne dass Verteidiger oder die Angeklagten selbst zu Wort kommen. Dies stellt eine ironische Verkehrung der historischen Nürnberger Prozesse dar, die als fairer rechtlicher Umgang mit den schlimmsten Verbrechern des Zweiten Weltkriegs gedacht waren. Es ist bezeichnend, dass der Geist der Nürnberger Prozesse hier in einer Veranstaltung beschworen wird, die möglicherweise den Ansprüchen der Gerechtigkeit nicht vollständig gerecht wird.
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