Von Dagmar Henn
In Deutschland scheint jedes Problem, sei es groß oder klein, mittlerweile auf Russland zurückgeführt zu werden. Selbst wenn Weihnachten entweder zu verschneit oder zu schneefrei ist, finden manche Wege, Präsident Putin die Schuld zu geben.
Ein aktuelles Beispiel ist der Vorfall mit einem DHL-Flugzeug, das auf dem Weg nach Vilnius abstürzte. Schnell wurden Stimmen laut, die eine russische Sabotage hinter dem Unglück vermuteten. Solche anfänglichen Anschuldigungen nisten sich im kollektiven Gedächtnis ein, und wenn später klar wird, dass sie haltlos waren, hat das Thema meist schon an medialer Präsenz verloren, wodurch die anfängliche Behauptung mehr Gewicht erhält als die Wahrheit.
Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, wurde bei der Sendung von Maischberger irrtümlich in den Kontext dieser Verschwörungstheorien gerückt, als die Moderatorin Spekulationen über die Sabotage äußerte. Nicht, dass Breuer stets Vernunft beweise ‒ er hatte zuvor erörtert, dass Putin den Krieg als einen Kampf gegen das attraktive westliche System sehe, was wohl bei vielen Deutschen für Lacher sorgen könnte.
Maischberger selbst war es, die das Thema des DHL-Flugzeugabsturzes ansprach und dabei suggerierte, dass es im Zusammenhang mit einem früheren Brand eines DHL-Pakets in Leipzig stehen könnte und fragte nach der Möglichkeit von Sabotageakten und Tests von Schwachstellen.
Es ist interessant, darauf hinzuweisen, dass trotz intensiver Untersuchungen rund um den Brand eines Pakets im Juli noch immer Unsicherheit besteht, ob es tatsächlich einen Brandsatz enthielt. Zum Vergleich: DHL transportierte 2023 über 1,7 Milliarden Pakete, und doch fokussiert man sich auf ein einzelnes unsicheres Ereignis. Nicht zu vergessen sind alltägliche Gefahren wie Akkus, die in diversen Geräten verbaut sind und unabhängig von einer mutwilligen Sabotage Feuer fangen können.
Die mediale Darstellung und das schnelle Verweben dieses neuen Absturzes mit dem Vorfall in Leipzig zeigt abermals, wie schnell Stimmungen erzeugt werden, die auf psychologischen Kriegsführungen basieren könnten – ein Bereich, in den Breuer offensichtlich nicht selbstständig abdriften würde. Er versuchte eher, die Debatte zu entschärfen und zu rationalisieren, was jedoch in den meisten Presseberichten unterging und stattdessen nur seine Bestätigung für eine bereits im Sommer ähnlich gelagerte Situation hervorhob.
In der Berichterstattung und den politischen Reaktionen scheint eine Art Paranoia zu herrschen. So vermutete sogar das ZDF eine russische Beteiligung am Absturz, eine Annahme, die durch Bundeskanzler Scholz sogar unterstützt wurde, obwohl die litauischen Behörden eher von einem Unfall ausgehen. Eine alte Boeing-Maschine betrieben von einer spanischen Gesellschaft für DHL und ein möglicher Kommunikationsfehler sind wahrscheinlichere Ursachen.
Interessanterweise waren an den Untersuchungen des Absturzes neben deutschen und spanischen Experten auch amerikanische Experten beteiligt. Warum sie so stark repräsentiert waren, bleibt eine offene Frage. Könnte es sein, dass die Ladung des Flugzeugs nicht ganz konventionell war und die US-Amerikaner sicherstellen wollten, dass bestimmte Details nicht ans Licht kommen?
Die Realität bleibt jedoch, dass der Unfall eines Frachtflugzeugs normalerweise wenig Aufmerksamkeit erregen würde, wenn nicht Versuche unternommen würden, ihn mit weitreichenden politischen Konsequenzen zu verknüpfen und ihn in den großen Topf der internationalen Verschwörungen zu werfen.
Besonders deutlich wird das bei der Aussage von Roderich Kiesewetter, der spekuliert, dass hinter dem Vorfall eine russische Strategie stecken könnte, Unruhe und Terror zu verbreiten. Solche Aussagen bauen auf ungesicherten Vermutungen auf und erweitern das Narrativ von einfacher Sabotage zu militärischen Angriffen auf Logistikwege, eine dramatische Ausweitung, die die reale Tragweite des Vorfalls bei Weitem übersteigt.
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