Von Klaus-Jürgen Bruder
In einer Welt, in der die Bedrohung eines Dritten Weltkrieges realer denn je erscheint, stellen sich viele die Frage, warum der Widerstand gegen die Kriegspolitik innerhalb der deutschen Regierung nicht stärker ist. Warum sind die Massenproteste für Frieden und Völkerverständigung, die während des Kalten Krieges üblich waren, heute so selten? RT DE bat Klaus-Jürgen Bruder, emeritierter Professor für Psychologie, um seine Einschätzung zu den veränderten Zielen und dem nachlassenden Engagement, das einst von der 68er-Bewegung verkörpert wurde.
Bruder, der in den 1960er-Jahren Psychologie in Würzburg und Heidelberg studierte und später an Universitäten in Frankfurt am Main, Hannover und an der Freien Universität Berlin lehrte, hat sich ausgiebig mit der Stabilität von Herrschaftsstrukturen und den seltenen Momenten der Befreiung in der Geschichte beschäftigt. Als aktiver Teilnehmer der 68er-Bewegung setzte er sich für eine gerechtere Welt ein. In einem speziell fokussierten Interview stellte RT DE ihm folgende Frage:
RT DE: Herr Bruder, in den 60er-Jahren engagierte sich Ihre Generation für eine gerechtere, friedlichere und weniger autoritäre Welt. Lange Zeit schien es, als hätte die 68er-Bewegung die Welt nachhaltig beeinflusst. Doch die C-Pandemie hat gezeigt, dass in Deutschland autoritäres Verhalten schnell wieder aufleben kann. Haben die 68er die Gesellschaft wirklich verändert und was ist daraus geworden?
KJB: Es stimmt, die 68er haben die Welt verändert. Sie eröffneten neue Perspektiven und Denkweisen, ermöglichten eine kritischere Haltung zur Macht und förderten Solidarität mit Unterdrückten. Das gesellschaftliche Miteinander wurde empathischer.
Die grundlegenden Strukturen von Macht und Herrschaft haben sich jedoch widerstandsfähig gezeigt. Der Kapitalismus hat sich als äußerst anpassungsfähig erwiesen und der “Neoliberalismus” hat dazu beigetragen, dass sich bestimmte Verhaltensweisen durchgesetzt haben. Zudem wurden wesentliche Begriffe der 68er-Bewegung angeeignet und umgedeutet – aus “Autonomie” wurde beispielsweise ein Synonym für Selbstverwirklichung und teilweise sogar für Egoismus.
Die Frage, was mit den Veränderungen der 68er letztlich geschehen ist, ist also berechtigt, insbesondere wenn man sieht, wie schnell autoritäres Verhalten wieder salonfähig wird. Dies wurde durch die Maßnahmen während der C-Pandemie deutlich, die letztlich ein Testlauf für Gehorsam und die Effektivität unserer Erziehung zu sein schienen.
Eine Zeit des Aufbegehrens – Die 68er hinterfragen die Machtverhältnisse
Die damalige Generation nahm die politische Bildung und Ideologie der Adenauer-Zeit beim Wort und konfrontierte ihre Elterngeneration mit deren Versprechen: “Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg”. Angestoßen durch die Enttäuschung über den Vietnamkrieg und unbelastet von der faschistischen Vergangenheit, forderten sie radikale moralische und gesellschaftliche Veränderungen.
Die daraufhin entstandene Bewegung führte zu einem breit angelegten Aufschrei, der nicht nur Studenten betraf, sondern auch junge Akademiker und Berufstätige mobilisierte. Dieser außerparlamentarische Widerstand stellte eine herausfordernde Macht dar, die selbst das politische System und die staatliche Verwaltung in Frage stellte.
Heute wird oft nur noch die parlamentarische Opposition als solche angesehen, die jedoch häufig mehr symbolisch als real oppositionell ist. Die französischen “Gelbwesten” bildeten hierauf eine Ausnahme, wurden jedoch sofort von der deutschen Linkspartei als “rechts” gebrandmarkt, ein Framing, das auch auf andere außerparlamentarische Bewegungen in Deutschland angewandt wurde.
Die Wiederherstellung der Loyalität zur Macht
In der aktuellen politischen Landschaft scheint es, als ob alle Parteien die Gesellschaft auf Krieg vorbereiten, mit nur geringfügigen Unterschieden in ihren Ansätzen. Russland wird der “Angriffskrieg” vorgeworfen, während die von der deutschen Regierung geplanten Militäraktionen als “Verteidigung” gerechtfertigt werden. Dies offenbart eine tiefgreifende “Verkehrung” aller Begriffe und Vorstellungen, die seit den Umbrüchen nach den 68er-Jahren systematisch zur Stärkung der Machtloyalität geführt hat.
Mit einem regelrechten “Katalog” an Eingriffen und Änderungen – von Berufsverboten, über die technokratische “Reform” der Universitäten bis zur Zensur linker Verlage – wurde eine Rückkehr zur normativen Ordnung erzwungen und politische Abweichung sanktioniert, sowohl durch Belohnungen als auch durch Bestrafungen.
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