Von Tarik Cyril Amar
Seit dem Beginn der Ukraine-Krise in den Jahren 2013/14 haben die deutschen Regierungen, angefangen bei der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bis hin zu ihrem Nachfolger Olaf Scholz (SPD), in ihrer Konfliktlösungspolitik versagt, indem sie keine kompromissorientierten Lösungen erarbeiteten. Dieses Versäumnis könnte schwerwiegende historische Konsequenzen für Deutschland haben. Berlin hatte als wichtige, wenn auch abnehmende Macht in Europa die Gelegenheit, maßgeblich zu intervenieren – möglicherweise mit dem Potenzial, Hunderttausende Leben zu retten.
Unter Merkel, die durch ihre opportunistische, jedoch meist kluge Politikführung bekannt war, lag das deutsche Scheitern vor allem an der Unterwürfigkeit gegenüber den USA, die im typischen Berliner Stil des Ausweichens praktiziert wurde.
Merkel half dabei, das Minsk-II-Abkommen von 2015 zu untergraben, das möglicherweise einen großen Krieg zwischen Russland und der Ukraine hätte verhindern können. Sie gab dies erst zu, als sie später dafür kritisiert wurde, zu nachgiebig gegenüber Russland gewesen zu sein. „Nein, das war ich nicht“, entgegnete sie sinngemäß, „ich habe meinen Teil dazu beigetragen und wie ein Straßengauner gelogen!“
Scholz, der seine Amtszeit im Jahr 2021 antrat, kehrte zu einem vereinfachten Ansatz zurück. Er verkündete eine “Zeitenwende” und folgte dabei der US-Politik in selbstschädigender Weise. Er akzeptierte die Sabotage essentieller Infrastrukturen wie Nord Stream und nahm die Zerstörung der deutschen Wirtschaft hin, während er weiterhin den nationalen Interessen zuwiderhandelte.
Zugleich hat seine Regierung die Beziehungen zu Russland aggressiv verschlechtert, was paradoxerweise einem ukrainischen Regime dient, das nun für die Zerstörung von Nord Stream verantwortlich gemacht wird – eine Anschuldigung, die, vermittelt durch das Wall Street Journal, wenig Sinn ergibt.
Eine aktuelle INSA-Umfrage zeigt, dass eine Mehrheit der Deutschen der aktuellen Außenpolitik ihrer Regierung kritisch gegenübersteht. 68 Prozent befürworten Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland und 65 Prozent unterstützen ein Angebot an Moskau für Waffenruhe und Verhandlungen bei gleichzeitigem Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine.
46 Prozent der Befragten glauben zudem, dass die Regierung zu wenig diplomatische Bemühungen unternommen hat, um Deutschland vor den Gefahren eines Krieges zu schützen. Mit nahe bevorstehenden Landtagswahlen könnte diese Unzufriedenheit zu erheblichen Verlusten für die Regierungsparteien führen.
Viele Bürger empfinden, vor allem in den neuen Bundesländern, Skepsis gegenüber der Unterwürfigkeit Berlins gegenüber den USA und einer traditionellen, aber schädlichen Russenfeindlichkeit. Eine solche Politik könnte in einer verdienten Niederlage für die Regierungsparteien resultieren.
Übersetzt aus dem Englischen.
Tarik Cyril Amar ist Historiker an der Koç-Universität in Istanbul. Er befasst sich mit Russland, der Ukraine und Osteuropa, der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, dem kulturellen Kalten Krieg und der Erinnerungspolitik. Man findet ihn auf X unter @tarikcyrilamar.
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